Völkerrechtstheorie, Völkerrechtsphilosophie, Völkerrechtsmethodologie, Unterschiede, Eine Studie, Pro Scientia ethica Iuris inter Gentes

Völkerrechtstheorie, Völkerrechtsphilosophie, Völkerrechtsmethodologie, Unterschiede, Eine Studie, Pro Scientia ethica Iuris inter Gentes

( Veröffentlicht in der international hochillustren Fachzeitschrift “Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie”, Heft 2, Vol.86-2000 , S.168-184 )

«Ἐκ πάντων ἓν καὶ ἐξ ἑνὸς πάντα» *
Ἡράκλειτος (DK 21 B 18)

ABSTRACT

The present article mainly rests on knowledges of Philosophy and Epistemology. in the center stands the difference between the Theory of International Public Law (IPL), the Philosophy of IPL and the Methodology of IPL. They are not only pillars of the Science of IPL but also fields of science in statu nascendi, The Science of IPL has additional pillars as the Dogmatic of IPL, the History of IPL und the History of Science of IPL. The Philosophy of IPL has its own Theory and also its own Methodology. The Methodology of IPL has also its own Theory ad its own Philosophy. It is necessary to differentiate among the Methodology of the Dogmatic of IPL and the Methodology of the Sciense of IPL. The IPL is an Ius Coexistentiae between states of different Circles of Culture.

1. Prolegomenα

Die zunehmenden Völkerrechtsverletzungen speziell unter den Bedingungen der objektiv determinierten Globalisierung, die Geringschätzung der Völkerrechtslehre in den Ländern mit einer starken rechtspositivistischen, monoklonalen und betont theorienihilistischen Tradition innerhalb der internationalen Völkerrechtswissenschaft und nicht zuletzt der Frontalangriff der „Political Scienses“, vor allem der „Theory of international Relations“ aus den USA auf die Völkerrechtslehre machen es absolut erforderlich, die Völkerrechtswissenschaft durch , weitestgehend feinspezialisierte Untersuchungen, vor allem durch eine systematische und prognostische Grundlagenforschung, weiter zu entwickeln.

*„Aus den vielen Dingen wird die Einheit und aus der Einheit werden die vielen Dinge“
Herakleitos

Bei allem Respekt vor wissenschaftlichen Leistungen der Vergangenheit kann die gebetsmühlenartige Wiederholung größtenteils überholter Auffassungen und Theoreme dem oben anvisierten Ziel nicht dienlich sein. Es bedarf vielmehr des wissenschaftlichen Mutes nach Horizonterweiterung und nach Erkenntniszuwachs, d. h. in concreto nach der Schaffung eines neuen Forschungsansatzes. Dabei steht eine transdisziplinäre Sicht, die den schon längst ideenarm und kreativitätsbremsend gewordenen Rechtspositivismus über Bord wirft, im Mittelpunkt. So gilt es, bei den völkerrechtswissenschaftlichen Forschungsarbeiten vor allem philosophische und wissenschaftstheoretische Erkenntnisse gebührend zu beachten und entsprechend anzuwenden.
Nur so ist es möglich, unter anderem den terminologischen Wirrwarr innerhalb der internationalen Völkerrechtslehre zu beenden. Daher sind zu diesem Zweck auch linguistische, d. h. insbesondere etymologische und semantische Untersuchungen notwendig.

Bereits Ende der 70er Jahre ist von mir ein prognostisches Forschungsprojekt im Sinne der Grundlagenforschung zu der komplexen Problematik der Dimensionen der Völkerrechtswissenschaft in Angriff genommen worden. Die Forschungsarbeit sollte sich auf ca. 20-25 Jahre erstrecken. So konnte ohne irgendwelche Brüche sukzessive dieses Forschungsvorhaben realisiert werden.

Inzwischen liegt nach anfänglichen, unzureichenden Versuchen eine in sich geschlossene Konzeption in Form einer publikativen Pentalogie (Völkerrechtswissenschaft, Völkerrechtsphilosophie, Völkerrechtstheorie, Völkerrechtssoziologie und Völkerrechtsmethodologie) vor.

Der jetzige Beitrag schließt nunmehr den Publikationskreis und stellt sich das Ziel, die wesentlichen Unterschiede zwischen der Völkerrechtstheorie, der Völkerrechtsphilosophie und der Völkerrechtsmethodologie heraus zu arbeiten bzw. evidenter zu machen.

Auch hierbei handelt es sich um völkerrechtswissen-schaftliches Neuland und infolgedessen um Erkenntniszuwachs. Insgesamt geht es um einen neuen Forschungsansatz.
Gestützt auf die vorherrschende Auffassung über die Wissenschaft als „eine Gesamtheit von Sätzen über einen thematischen Bereich,der in einem Begründungszusammenhang steht“1 sowie auf die Rechtswissenschaft als eine Normen- und Sozialwissenschaft,2 kann die Völkerrechtswissenschaft definiert werden als die Summe und das System von Kenntnissen, Erkenntnissen und Methoden über völkerrechtlich wichtige Materien, vor allem über den Normenbildungs- und Normendurchsetzungsprozess in den internationalen Beziehungen.

Obwohl die Normen und Prinzipien des Völkerrechts der Hauptgegenstand der völkerrechtsdogmatischen Untersuchung sind, kann und muss die Völkerrechtswissenschaft darüber hinausgehen und auch philosophische (Werte, Moral) soziologische (Bedürfnisse, Interessen) politische und weitere Fragestellungen erfassen.3
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1 A. Diemer, Was heißt Wissenschaft? 1964, S. 67 Vgl. ähnlich F. Kambartel, Stichwort „Wissenschaft“, in: Enzyklopädie, Philosophie und Wissenschaftstheorie (Hrsg. Jürgen Mittelstaß), Band 4, 2004, S. 758
2 O. Weinberger, Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, 1988, S. 45 ff.
3 Vgl. hierzu ausführlich P. Terz, Die Polydimensionalität der Völkerrechtswissenschaft oder Pro scientia lata iuris inter gentes, in: Archiv des Völkerrechts, 4/30/1992, S. 442 – 481.
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Hieraus folgt konsequenterweise, dass die Völkerrechtswissenschaft nicht monolithisch ist, sondern aus den folgenden integralen Säulen besteht, die sogar als Wissenschaftsdisziplinen in statu nascendi betrachtet werden können: Völkerrechtstheorie, Völkerrechtsphilosophie, Völkerrechtssoziologie, Völkerrechtsdogmatik, Geschichte der Völkerrechtswissenschaft und Völkerrechtsmethodologie. Die Völkerrechtsdogmatik und die Geschichte des Völkerrechts haben sich schon längst etabliert.
In dem vorliegenden Beitrag soll nur auf die Völkerrechtstheorie, die Völkerrechtsphilosophie und die Völkerrechtsmethodologie eingegangen werden, weil gerade in diesem Bereich zahlreiche terminologische Ungereimtheiten bzw. ein großes terminologisches Chaos festzustellen sind.4
Es drängt sich die Frage auf, ob dieses unangenehme Phänomen Ausdruck von Ignoranz ist. Es müsste doch durchaus möglich sein, die Erkenntnisse der Philosophie und der Wissenschaftstheorie sowie teilweise auch der Linguistik zur Kenntnis zu nehmen und anzuwenden. Dies gilt uneingeschränkt für ad fontes – Untersuchungen der Kardinaltermini Theorie, Philosophie und Methodologie, die weder gleichen Inhalt besitzen noch Synonyme sind.
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2. Linguistische und epistemische Explikationen der Termini Theorie, Philosophie und
Methodologie

Das Substantiv Theoria ( Θεωρία ) ist auf das altgriechische Verb theoreιn ( θεωρεῖν )
im Präsens theoro ( θεωρώ ) zurück zu führen. Im ursprünglichen Sinne des Wortes bedeutet Theoria Betrachten oder auch Untersuchen.5
Durch die großen wissenschaftlichen Arbeiten der altgriechischen Philosophen erlangte der Begriff Theoria die Bedeutung der „geistigen Betrachtung von Ideen, Sachverhalten oder abstrakten Zusammenhängen, die der sinnlichen Wahrnehmung nicht zugänglich sind“.6

4 Vgl.stellvertretend für mehrere: C. Greifelds, Rechtswörterbuch, 1968, S. 928, O. Weinberger (Anm. 2) und A. Peczenik, Principles of Law, The Search for Legal Theory, in: Rechtstheorie, H. 2, 1971, S. 17. Rechtstheorie, Rechtsphilosophie, Rechtsmethodologie und Rechtssoziologie werden fast als Synonyme verwendet. A. Bleckmann wiederum betrachtet die Methodenlehre als möglichen Bestandteil der Völkerrechtstheorie. Vgl. Die Aufgaben einer Methodenlehre des Völkerrechts, 1978, S. 72; W. Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Band IV, Dogmatischer Teil, 1977 betrachtet die „Methodologie des Rechts“ und die Rechtstheorie als Synonyme; A. Kaufmann , Wozu Rechtsphilosophie heute? 1971, sieht die Methodologie als „Untergebiet“ der Rechtstheorie; M. Kortmann/K. Schubert, Theorien und Methoden im Forschungsprozess, in: S.-U. Schmitz/K. Schubert (Hrsg.), Einführung in die politische Theorie und Methodenlehre, 2006, S. 34 ff. (Gleichsetzung von Theorie und Methodologie); S. Oeter, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland in: ZaöRV, 67 (2007), S. 681 (Er spricht von Methodik, gemeint ist aber die Methodenlehre).
5 Vgl. Lexikon unregelmäßiger Verben der Altgriechischen Sprache, 1958, S. 81 (in Griechisch)
6 C. Thiel, Stichwort „Theorie“, in: Enzyklopädie (Anm.1), S. 260. Vgl. ähnlich auch Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum (Autorenkollektiv unter Leitung von Fritz Jürss), 1982, S. 153 : rationale Betrachtung der wissenschaftlich ausgerichteten Überlegung, Untersuchung, Erwägung, Beurteilung, des Verstehens sowie des wissenschaftlichen Erkennens.
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In der wissenschaftstheoretischen Fachliteratur liegt ein Consensus generalis Doctorum et Professorum darüber vor, welche die prägenden Merkmale der Theorie sind: die systematisch geordnete Menge von Aussagen,7 die in einem Zusammenhang stehen;8 die Aussagen beziehen sich auf einen Bereich der objektiven Realität oder des Bewusstseins;9 Erklärung von Phänomenen bzw. Lösung von Problemen.10
Die Theorie hat eine Reihe von Funktionen wie die Rationalisierungsfunktion,11 die Selektionsfunktion (das relevante aus zahlreichen Informationen herausfiltern), die Ordnungsfunktion (die Informationen zusammenfügen, ordnen und systematisch darstellen), die Erklärungsfunktion (es geht um die Kausalität der Zusammenhänge)12 und schließlich die prognostische Funktion.

In linguistischer sowie in epistemologischer Hinsicht geht es bei der Theorie um das „Was“.
Von der Theorie ist die Philosophie zu unterscheiden. Auch hier bedarf es etymologisch -semantischer Explikationen. Der Terminus Philosophia (Φιλοσοφία ) besteht aus zwei Wörtern: philein ( φιλείν : lieben) und Sophia (Σοφία : Weisheit). Das zusammengesetzte Verb philosophein ( φιλοσοφείν ) bedeutet wörtlich „lieben die Weisheit“ und dem Wesen nach etwas genau untersuchen, hinterfragen, über etwas nachdenken.
Somit geht es in der Philosophie dem Wesen nach um das„Warum“. Platon gebrauchte als erster den Begriff Philosophia und verstand darunter das „Streben nach Weisheit“.13 Dieser Auffassung entspricht das heutige Verständnis von der Philosophie als „besondere Form der Reflexion und der Wissensbildung“ sowohl epistemisch als auch disziplinär.14
Von der Philosophie ist die Methodologie zu unterscheiden. Die Μεθοδολογία ist auf den Begriff Methodos ( Μέθοδος ) zurückzuführen, der sich aus den Wörtern metá ( μετά : nach und hodós ( >οδός :Weg) zusammensetzt. Der altgriechische idealistische Philosoph Parmenides (6. Jh. v.Chr.) verwendete als erster den Begriff „Hodos“ als „Weg der Suche“, als „Weg der Untersuchung“ bzw. als „Weg der Forschung“.
Dem „Hodos“ des Parmenides entspricht im Prinzip dem gegenwärtig allgemein gebräuchlichen wissenschaftlichen Terminus „Methodos“.15
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7 Philosophisches Wörterbuch (hrsg. von G. Klaus und M. Buhr), Bd. 2, 1976, S.1219
8. A. Menne, Einführung in die Methodologie, Elementare allgemeinwissenschaftliche Denkmethoden im Überblick,1980, S. 120
9 Philosophisches Wörterbuch (Anm. 7), S. 1219
10 R. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, Studien zur Rechtstheorie, 1981, S. 78
11 K. Popper, Logik der Forschung, 1981, S.31 („Die Theorie ist das Netz, das wir auswerfen, um die „Welt“ einzufangen , sie zu rationalisieren, zu erklären und zu beherrschen“).
12 Id., S. 22. Schon die alten griechischen Philosophen entwickelten Theorien, um die Welt, die Menschen, die Erkenntnis zu erklären. Vgl. A. Pichot, Die Geburt der Wissenschaft, Von den Babyloniern bis zu den frühen Griechen, 1995, S. 275
13 Vgl. Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum (Anm. 6), S. 155
14 J. Mittelstraß, Stichwort „Philosophie“, in: Enzyklopädie (Anm. 1), Band 3, S. 131
15 Vgl. hierzu sehr ausführlich K. P. Popper, Die Welt des Parmenides, Der Ursprung des europäischen Denkens, 2005 (insbesondere S. 159, 190, 197). Vgl. ferner K. Lorenz, Stichwort „Methode“ in: Enzyklopädie (Anm. 1), Band 2, S. 876. K. Lorenz definiert die Methode als „ein nach Mittel und Zweck planmäßiges Verfahren, das zu technischer Fertigkeit bei der Lösung theoretischer und praktischer Aufgaben führt.“ Es ist bemerkenswert, dass zwischen Parmenides und K. Lorenz 2500 Jahre liegen.
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Es darf mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass die Begriffe Theoria, Philosophia und Methodos nicht zufällig geprägt worden sind. Bereits im 6.Jh. fand eine sprachlich-semantische Revolution statt.
Dies entsprach den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen und Erfordernissen.16

Nach vorherrschender Auffassung stellt die Methodologie die Lehre von den wissenschaftlichen Methoden dar,17 mit dem Ziel, die existierende Realität zu erkennen. Hierbei geht es um die allgemeine Methodologie, die sich aus dem Entwicklungsstand und den Anforderungen der sozialen Realität sowie aus der Notwendigkeit ergibt, wissenschaftlich begründete Methoden zu entwickeln, die konkreten Phänomenen adäquat sind.
Gleichwohl existiert die allgemeine Methodologie nicht unabhängig von anderen Wissenschaften. Im Gegenteil, zwischen ihnen besteht ein wechselseitiger Zusammenhang sowie eine beiderseitige Ergänzung und Befruchtung.18

Ist die Methodologie die Lehre von den Methoden (Methodenlehre), so ist die Methode ein „System von Regeln“, das Klassen möglicher Operationssysteme bestimmt, die von gewissen Ausgangsbestimmungen zu einem konkreten Ziel führen. Allgemeines Ziel, auf das alle Methoden gerichtet sind, ist die Veränderung oder (und) die Erkenntnis der Wirklichkeit.19 Dabei ist die Zielgerichtetheit ein besonders wichtiges Merkmal jeder Methode.
Die Methode ist ein Mittel um gesetzte Ziele zu realisieren. In der Wissenschaftstheorie werden drei Aspekte der Methode unterstrichen: das zielgerichtete Vorgehen, das Verhältnis von Mittel und Einsatz sowie das Verhältnis von Zweck und Realisierung.20

Zwischen der Theorie und der Methode besteht zwar ein inneres Wechselverhältnis, es erweist sich im Interesse einer weitergehenden begrifflichen Klarheit jedoch als erforderlich, auf die zwischen ihnen vorhandenen Unterschiede hinzuweisen. Dabei hat man sich auf die wissenschaftstheoretischen Erkenntnisse zu stützen.
Es geht vorwiegend um die folgenden Unterschiede:
a) Die Theorie beschreibt jeweils einen bestimmten Bereich der Realität. Die Methode hingegen beschreibt die Mittel und die Vorgehensweise, wie hierüber entsprechende Erkenntnisse erzielt werden können. Epistemologisch (erkenntnistheoretisch) formuliert, widerspiegelt die Methode das Verhältnis zwischen dem Objekt des Erkennens und dem erkennenden Subjekt.21
b) Bei der Theorie handelt es sich „um ein System von Aussagesätzen“. Die Methode hingegen stellt „ein System von Regeln“ dar.22
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16 Vgl. Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum (Anm. 6), S. 157
17 Stellvertretend für mehrere vgl. K. Lorenz, Stichwort „Methodologie“, in: Enzyklopädie (Anm. 1), Band 2, S. 887
18 Vgl. auch Philosophisches Wörterbuch (Anm. 7). S. 721 – 723
19 Vgl. ibid, S. 717
20 Vgl. ibid, S. 718
21 Vgl. G. Klaus, Kybernetik in philosophischer Sicht, 1961, S. 177
22 Vgl. Philosophisches Wörterbuch (Anm. 7), S.718.
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c) Die Theorie hat Aussagecharakter und besitzt eine beschreibende Funktion, während die Methode über einen Aufforderungscharakter besitzt. Es könnte grundsätzlich eine gewisse Abhängigkeit der Methode von der Theorie bejaht werden:
Ist die Theorie entwickelt, dann liegen Voraussetzungen für eine ebenso entwickelte Methode vor. Genauso war es bei den Auffassungen der Philosophen im antiken Hellas. Eine wissenschaftliche Methode wiederum vermag, eine Theorie ebenso positiv zu beeinflussen.23

Zwischen der Theorie, der Philosophie und der Methodologie als den wichtigsten Bestandteilen der Wissenschaft gibt es inhaltliche Zusammenhänge und Wechselbeziehungen.

Diese Feststellung scheint allerdings nicht ausreichend zu sein. Vielmehr sind weitergehende Überlegungen erforderlich. Es wäre z. B. durchaus logisch, von einer Theorie der Philosophie zu sprechen. In diesem Falle würde es in erster Linie um das „Was“ der Philosophie gehen. Im Mittelpunkt der Überlegungen müsste demnach die Fragestellung stehen, was die Philosophie überhaupt ist.

Gleiches würde auch für das Verhältnis von Philosophie und Methodologie gelten. Konkret würde es sich um das „Wie“ der Philosophie, d. h. um Wege und Verfahren zur Erziehung philosophischer Erkenntnisse, handeln. Es wäre genau so möglich, von einer Philosophie der Theorie zu sprechen. Hier ging es um das „Warum“ der Theorie.

Bei der Philosophie der Methodologie würde z. B. das „Warum“ der Methodologie im Zentrum der Überlegungen stehen.24 Derartige Gedanken sind, wie noch nachzuweisen ist, für die Völkerrechtstheorie, die Völkerrechtsphilosophie und die Völkerrechtsmethodologie von großer Bedeutung, wenn es um vertikale und spezifizierte Forschungstätigkeit geht.

3. Zu der Völkerrechtstheorie

Die Völkerrechtstheorie als Bestandteil der Völkerrechtswissenschaft sowie als eine Wissenschaftsdisziplin in statu nascendi stellt eine systematisch logisch geordnete Menge von Aussagen und Erkenntnissen über die gesamte Völkerrechtsordnung (insbesondere Wesen des Völkerrechts als Recht, System und Struktur des Völkerrechts, völkerrechtliche Prinzipien und Normen, Völkergewohnheitsrecht, „Allgemeine Rechtsgrundsätze, Normenhierarchie, Normenbildung und Normenverwirklichung, Völkerrechtskodifikation, Zweige und Institute des Völkerrechts) dar.
Dies gilt auch für das Wesen, die Hauptmerkmale und die Hauptfunktionen der Völkerrechtstheorie selbst, für die eigenen Bestandteile der Völkerrechtstheorie und nicht zuletzt für ihr Verhältnis in erster Linie zu der Völkerrechtsphilosophie und zu der Völkerrechtsmethodologie.25
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23 Vgl. ähnlich auch I. Espenbeck, Das Ganze denken, 1986, S. 231
24 Vgl. hierzu ausführlicher P. Terz, Die Völkerrechtsmethodologie – Versuch einer Grundlegung in den Hauptzügen. Ad promotionem gradus investigationis scientiae iuris inter gentes, in: Papel Politico, Pontificia Universidad Javeriana, 1/12/2007, pp. 173 – 208 (hier insbesondere p. 185) .
In der Wissenschaftstheorie werden interessanterweise Termini verwendet wie Wissenschaftswissenschaft, Wissenschaftslehre, Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftslogik und Wissenschaftssoziologie. Vgl. Enzyklopädie (Anm. 1), Band 4, S. 719 – 759
25 Bereits Anfang der 90er Jahre ist der Versuch unternommen worden, wenn auch nur teilweise, die Völkerrechtstheorie allgemein zu skizzieren. Vgl. P. Terz (Anm. 3), S. 446 – 450.
Erst viel später erfolgte eine gründlichere Behandlung dieser Problemstellung. Vgl. P. Terz, Die Völkerrechtstheorie, Versuch einer Grundlegung in den Hauptzügen. Pro theoria generalis scientiae iuris inter gentes, in: Papel Politico, Pontificia Universidad Javeriana, 2/11/2006, pp. 683 – 737.
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Hieraus lassen sich die Hauptfunktionen der Völkerrechtstheorie ableiten:
1 ) Empirische Funktion: systematische Beobachtung der Völkerrechtsordnung sowie Selbstbeobachtung als Wissenschaftsdisziplin;
2 ) Durchdringungsfunktion: unablässige theoretische Durchdringung des Völkerrechts als Rechtsordnung;
3 ) Analytische Funktion: gründliche und systematische Erforschung der Begriffe und Kategorien, der Prinzipien und Normen des Völkerrechts;
4 ) Ordnungsfunktion: wichtige Gegenstände und Problemstellungen des Völkerrechts herausfinden, logisch zusammenfügen, ordnen und systematisch darstellen;
5 ) Erklärungsfunktion: Erklärung der Zusammenhänge im Völkerrechtssystem sowie innerhalb der Völkerrechtstheorie selbst;
6 ) Normative Funktion: Gründliche Erforschung normativer Fragenstellungen des Völkerrechts;
7 ) Prognostische Funktion: wissenschaftlich begründete Prognosen über mögliche zukünftige Völkerrechtsentwicklungen treffen. Dies gilt ebenso für die weitere Entwicklung der Völkerrechtstheorie selbst.

Aus Sicht der Völkerrechtstheorie ist das Völkerrecht in erster Linie ein Vereinbarungs- und Koordinierungsrecht, ein „Ius Pacis“ und „Ius Cooperationis“ sowie ein Ius Coexistentiae zwischen Staaten unterschiedlicher Kultur- und Rechtsweise.26
Die wichtigsten Unterschiede zwischen den Kultur- und Rechtskreisen stützen sich auf recht unterschiedliche Menschen- und Gesellschaftsbilder, die Tradition, Mentalität und Identität der Menschen und der Völker Jahrhunderte lang geformt und geprägt haben.

Völkerrechtstheoretisch betrachtet, hat das Völkerrecht gerade in der Epoche der Globalisierung eine Reihe von Funktionen wie um die wichtigsten zu nennen:
1 ) Ordnungsfunktion: Das Verhalten der Staaten so steuern, dass das friedliche Zusammenleben der Völker und der Staaten gesichert ist;
2 )Friedensfunktion: Gewährleistung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als essentielle Vorbedingung, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen;
3 ) Kooperationsfunktion: Im Sinne des Ius cooperationis Förderung der Zusammenarbeit der Staaten auf allen relevanten Gebieten der internationalen Beziehungen;
4 )Stabilisierungsfunktion: Realisierung durch die Schaffung stabiler internationaler Vertragsbeziehungen;
5 ) Anpassungs- und Umgestaltungsfunktion: Realisierung vor allem durch die Weiterentwicklung des Völkerrechts in erster Linie durch multilaterale Konventionen;
6 ) Sicherungs- und>Konfliktregulierungsfunktion: Es geht um die Sicherung der Prinzipien und Normen des Völkerrechts durch die dafür vorgesehen Organe, Maßnahmen und Methoden;
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26 Diese Position ist zum ersten Mal in Auseinandersetzung mit S. Huntingtons seltsamen These vom „The Clash of ivilizations“ erarbeitet worden. Vgl. P. Terz, Die Völkerrechtstheorie (Anm. 25), S. 709.
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7 )Gerechtigkeits-und Entwicklungsfunktion: Gewährleistung eines Mindestmaßes an Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen, auch durch die sachbezogene, bevorzugte und präferentielle Behandlung von Entwicklungsländern, wie dies in einigen multinationalen Konventionen festgeschrieben worden ist;
8 ) Legitimierungsfunktion: Es geht darum, dass Handlungen militärischen Charakters durch den UN-Sicherheitsrat gemäß Kapitel VII der UN-Charta legitimiert sein müssen;
9 )Schutzfunktion: Schutz hauptsächlich der Kleinen und schwachen Staaten sowie der grundlegenden Menschrechte.
System- und Strukturfragen des Völkerrechts und der Völkerrechtswissenschaft gehören mit zu den wichtigsten Gegenständen der Völkerrechtstheorie.
Eine seriöse Beschäftigung mit ihnen setzt jedoch die Kenntnisnahme der in Frage kommenden philosophischen, wissenschaftstheoretischen sowie der rechtstheoretischen Forschungsergebnisse voraus.

In wissenschaftstheoretischer Hinsicht stellt das System eine nach „Ordnungskriterien gegliederte Mannigfaltigkeit von materiellen Dingen, Prozessen usw. (materielles System) oder von Begriffen, Aussagen usw. (ideelles System“) dar.27 Die Allgemeine Rechtstheorie betrachtet das Rechtssystem als ein „soziales Ordnungsgefüge“, das aus normierten Handlungen und Entscheidungen der Rechtsgemeinschaft besteht.28

Unter Beachtung dieser philosophischen, wissenschaftstheoretischen sowie der rechtstheoretischen Erkenntnisse könnte das Völkerrechtssystem definiert werden als ein Ordnungsgefüge in den internationalen Beziehungen, das eine gegliederte Mannigfaltigkeit von Prinzipien und Normen und anderen Elementen ausmacht. Hierdurch wird das Verhalten der Völkerrechtssubjekte untereinander geregelt.

Das wichtigste Element des Völkerrechtssystems sind die in der UN-Charta verankerten sieben grundlegenden Völkerrechtsprinzipien. Sie stellen selbst ein System dar.

Von dem System des Völkerrechts als internationale Rechtsordnung ist jenes der Völkerrechtswissenschaft zu unterscheiden, das ein ideelles System ist. Dieses besteht aus mehreren Teilen (Völkerrechtstheorie, Völkerrechtsphilosophie, Völkerrechtsmethodologie, Völkerrechtssoziologie etc.) und kann unter Anwendung der philosophisch-gnoseologischen Aspekte29 als System erster Ordnung betrachtet werden.

Die einzelnen Bestandteile sind hingegen Systeme der zweiten Ordnung und zugleich Teilsysteme. Sie stellen ihrerseits jeweils ein System (z. B. System der Völkerrechtsphilosophie) mit eigenen Subsystemen wie z. B. die Theorie, die Methodologie und die Geschichte der Völkerrechtsphilosophie dar.
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27 Philosophisches Wörterbuch (Anm. 7) S. 1059. Vgl. ferner G. Seebaß, Stichwort „System“ in: Enzyklopädie (Anm. 1), S. 183. Seine Systemdefinition ist jedoch sehr unscharf: System als „Bezeichnung für ein gegliedertes, geordnetes Ganzes“.
28 So H. Garrn, Rechtsproblem und Rechtssystem, 1974, S. 19. Vgl. ferner T. Eckhoff/N. K. Sundby, Rechtssysteme, Eine systematische Einführung in die Rechtstheorie, 1988, S. 41
29 Vgl. Philosophisches Wörterbuch (Anm. 7), S. 1180 .
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Das System ist grundsätzlich statisch. Erst durch seine Struktur wird es dynamisch. Durch die sachbezogene Anwendung des philosophisch-gnoseologischen Strukturbegriffs wird die Bedeutung der Struktur evident.

In der philosophischen Literatur überwiegt die Auffassung, dass die Struktur eine „Menge der die Elemente eines Systems miteinander verknüpfenden Relationen“ ist.30 Hieraus kann man ableiten, dass die Struktur eines konkreten Systems drei essentielle Merkmale aufweist: Zum einen existiert eine Menge, ein geordnetes Ganzes;31 Zum anderen bestehen zwischen den einzelnen Elementen des Ganzen wechselseitige Beziehungen, auf die es ankommt; Zum dritten macht erst die Struktur das System dynamisch und entwicklungsfähig. Auch deswegen kann m. E. die Völkerrechtstheorie dieser gnoseologisch-dynamischen Strukturdefinition und nicht der antiquierten ontologisch statischen folgen.32

Will der Völkerrechtstheoretiker das extrem komplexe Beziehungsgeflecht der Völkerrechtsstruktur analysieren, so kommt es grundsätzlich auf das jeweilige Kriterium an:
a ) Wird der Aufbau des Völkerrechtssystems zugrundegelegt, so gibt es zwischen den Völkerrechtszweigen wechselseitige Beziehungen horizontaler Art;
b ) Werden die grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts als Kriterium für andere Völkerrechtsnormen verwendet, dann bestehen hierarchisch vertikale Beziehungen;
c ) Werden die Rechtsnormen in ihrer Gesamtheit in Betracht gezogen, dann existieren Beziehungen zwischen ihnen;
d ) Geht es nur um die Völkervertragsnormen, dann werden sowohl vertikale als auch horizontale Beziehungen bejaht;
e ) Bei den Völkergewohnheitsnormen können ebenso vertikale wie horizontale Relationen festgestellt werden;
f ) Zwischen den Völkervertrags- und den Völkergewohnheitsnormen sind gleichfalls Wechselbeziehungen vorhanden;
g ) Neben den bisher erwähnten Relationen im Makrokosmos des Völkerrechtssystems können solche ebenso im Normenmikrokosmos festgestellt werden.

Hierbei geht es um die mikrostrukturellen Beziehungen innerhalb einer Norm.
Zwischen den bereits erwähnten Bestanteilen der Völkerrechtswissenschaft als System erster Ordnung einerseits und den Teilsystemen andererseits bestehen Verzahnungen, Querverbindungen und Wechselbeziehungen, die in ihrer Gesamtheit die Struktur der Völkerrechtswissenschaft ausmachen. Ähnlich verhält es sich bei den Elementen eines Teilsystems, z. B. bei der Völkerrechtsphilosophie die Theorie, die Methodologie und die Geschichte.
Sie sind in ihrem Verhältnis zu dem Teilsystem Völkerrechtsphilosophie Systeme der dritten Ordnung, dem Wesen nach Subsysteme. In erster Linie machen ihre Beziehungen untereinander die Struktur der Völkerrechtsphilosophie aus.
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30 Ibid., S. 1180
31 Vgl. ähnlich auch: A. Rapoport, General Systems Theory, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, 15/1967, pp. 452 ss. und S. T. Eckhoff/N. K. Sundby (Anm. 28), S. 114
32 Beispielsweise seien stellvertretend für mehrere genannt: E. Huber, Stichwort „Struktur“, in: Philosophisches Wörterbuch (hrsg. von W. Brugger), 1985, S. 381/382; F. Händle/S. Jensen (Hrsg.), Systemtheorie und Systemtechnik, 1974, S. 31 ff.
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Unabhängig davon, ob es um ein ontologisches oder um ein gnoseologisches System handelt, erlangt dieses durch die sich dynamisch abspielenden dialektischen Prozesse eine neue Qualität, die über die Qualität der einzelnen Bestandteile hinausgeht.
Hieraus erwachsen neue Erkenntnisse, die gleichermaßen für die Völkerrechtswissenschaft sowie für die Völkerrechtspraxis von eminenter Bedeutung sind.

4. Zu der Völkerrechtsphilosophie

Zu den verschiedenen Aspekten der Völkerrechtsphilosophie ist vom Autor bereits ein Beitrag in dieser Zeitschrift veröffentlicht worden.33 Deswegen erfolgt eine Beschränkung auf jene Fragen, die für die Zwecke des vorliegenden Beitrags von besonderer Bedeutung sind.

Es ist darauf hinzuweisen, dass es hier nicht um allgemeine philosophische Fragen des Völkerrechts oder etwa um eine „ethisch weltanschaulich“ orientierte völkerrechtliche Forschung34 schlechthin, sondern um einen Bestandteil der Völkerrechtswissenschaft und zugleich um enge Wissenschaftsdisziplin in statu nascendi geht.

Die Völkerrechtsphilosophie versteht sich als die Wissenschaft von der Anwendung philosophischer bzw. rechtsphilosophischer Erkenntnisse auf völkerrechtlich bedeutsame Materien in den internationalen Beziehungen.

Die wichtigsten Gegenstände der Völkerrechtsphilosophie sind die folgenden: Werte, Gerechtigkeit und Billigkeit, Gleichheit/Ungleichheit, das Commune Bonum Humanitatis, Solidarität/Hilfeleistung, Moral, Moralnormen und ihr Verhältnis zu den Völkerrechtsnormen, Verantwortung, Pflicht, Rechtsbewusstsein, Rechtsgefühl, das eigene Verhältnis zu den anderen Bestandteilen der Völkerrechtswissenschaft und nicht zuletzt das Verhältnis zum Positivismus und zum rechtsnihilistischen Soziologismus innerhalb der internationalen Völkerrechtslehre.

Die Völkerrechtsphilosophie hat eigene Bestandteile wie die Theorie, die Methodologie und die Geschichte, um die wichtigsten zu nennen.
Zu den wichtigsten Aufgaben speziell der Theorie der Völkerrechtsphilosophie gehören die Herausarbeitung der Bedeutung der Völkerrechtphilosophie als Bestandteil der Völkerrechtswissenschaft, die Untersuchung des Verhältnisses der Völkerrechtsphilosophie zu den anderen Bestandteilen der Völkerrechtswissenschaft sowie die theoretische Durchdringung aller Gegenstände der Völkerrechtsphilosophie.35
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33 P. Terz, Die Völkerrechtsphilosophie, Versuch einer Grundlegung in den Hauptzügen. Pro scientia ethica iuris inter gentes,
in: ARSP, 2/86/2000, S. 168 – 184
34 A. Peters plädiert dafür sowie konkreter um die unbedingte Beachtung des Gerechtigkeitsgehaltes des Völkerrechts. Sie berücksichtigt jedoch nicht die Moralnormen als den wichtigsten Gegenstand der Völkerrechtsphilosophie. Sie schlägt ferner eine Lanze für die Philosophie als Grundlagenfach. Vgl. ihren beeindruckenden Grundsatzbeitrag: Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft. Wider den epistemischen Nationalismus, in: ZaöRV, 67 (2007) S. 721 – 776 (hier S. 754 ff., 762).
35 Vgl. ausführlicher P. Terz (Anm. 33), S. 171 ff.
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5. Zu der Völkerrechtsmethodologie

Die Völkerrechtsmethodologie gehört zu den stiefmütterlich behandelten völkerrechtliche Fragestellungen. Abgesehen von sporadischen Bemerkungen36 und einigen eher
rechtspositivistisch ausgerichteten Schriften37 gilt nach wie vor die bereits vor 30 Jahren getroffene Feststellung von Ernst Sauer: „Es ist eine erstaunliche Tatsache, dass es kaum (eine) völkerrechtliche
Methodologie gibt“.38

Vereinzelt haben Völkerrechtler versucht, einige Völkerrechtsmethoden zu erarbeiten wie z. B. die historische Methode, die „soziologische Betrachtungsweise“, die „normative Betrachtungsweise“, die „erkenntnistheoretischen Aspekte“ (Deduktion, Induktion)39 oder die „normativ- analytische“, die dogmatische, die vergleichende Methode sowie die Methoden der Diplomatie (Modellierung, Formalisierung und Spieltheorie).40

Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass die äußerst komplexe Problematik der Völkerrechtsmethodologie unzureichend erforscht worden ist. Es ist kaum möglich, aus Gedankensplittern eine fachbezogene wissenschaftliche Methodologie zusammen zu zimmern.
Es ist bereits Mitte der 80er Jahre der Versuch unternommen worden, einen Beitrag zur Erarbeitung der Völkerrechtsmethodologie zu leisten,41 der genau 23 Jahre später durch weitere, tiefergehendere Untersuchungen wesentlich weiter entwickelt wurde.42

Daher sowie aus Platzgründen kann in der vorliegenden Studie die Gesamtproblematik der Völkerrechtsmethodologie nicht ausführlich dargestellt werden.
In den vorangegangenen sowie in der vorliegenden Untersuchung wird ein ganz anderer Forschungsansatz verfolgt, um wissenschaftliche Problemfindungs- und Problemlösungsarbeit betreiben zu können.
Dabei wird davon ausgegangen, was die Völkerrechtsmethodologie überhaupt ist. Hierbei handelt es sich um eine eminent theoretische Fragestellung im Sinne der Theorie der Völkerrechtsmethodologie.
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36 So z. B.: Ch. Rousseau, Droit International Public, Tome II, 1974, p. 17 ; P. Vellas, Droit International Public, 1967, p. 24 (V. beschränkt sein methodologischen Verständnis auf die „Begriffe des Rechtsdenkens“, das Verfahren und die Methode des Rechtsdenkens); E. Sauer, Zur Grundlegung der völkerrechtlichen Methodologie, in: Acta Scandinavica Iuris Gentium , 3 – 4/33/1963, S. 121 ff. S. verwendet außerdem die Begriffe Wissenschaft, Methodologie und Methodik als Synomyme.
37 Zu nennen ist in erster Linie M. Boss, A Methodology of International Law, 1984. B. unternimmt den Versuch, kybernetische, spiel-theoretische sowie teilweise auch naturwissenschaftliche Methoden auf das Völkerrecht anzuwenden.
Erwähnenswert ist ebenfalls A Schüle, Methoden der Völkerrechtswissenschaft, in: AdV, 3/60/1959, S. 129 f. S. gebraucht die Begriffe wissenschaftstheoretische Konzeption und Methodologie fast wie Synonyme. Ansonsten kann generell konstatiert werden, dass im Prokrustesbett des Rechtspositivismus die Theorie schon längst ihren Geist ausgehaucht hat.
38 E. Sauer (Anm. 36), S. 121
39 So z. B. A. Schüle (Anm. 37), S. 13 – 18
40 Vgl. z. B. D. B. Lewin, Die Methodologie der sowjetischen Völkerrechtswissenschaft, in: Sowjetskoje gossudarstwo y prawo, 9/1969, S. 64/65 (in Russisch)
41 Vgl. P. Terz, Die Erarbeitung einer Völkerrechtsmethodologie – eine unaufschiebbare Aufgabe der
Völkerrechtswissenschaft, in: Rechtstheorie und die methodologischen Probleme der Rechtswissenschaft, 1984, S. 221 ff.
42 Vgl. P. Terz (Anm. 24), S. 173 – 208; id. (Anm. 3), (hier speziell S. 468 – 480).
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Allgemein betrachtet, stellt die Völkerrechtmethodologie die Lehre von den Völkerrechtsmethoden dar.
Es muss jedoch beachtet werden, dass es grundsätzlich zwei Arten von Methoden gibt: Methoden, die auf reale Objekte und Methoden, die epistemologisch im Sinne der Widerspiegelungstheorie auf gedankliche Objekte angewandt werden.43

Demnach gibt es Methoden des Völkerrechts als Rechtsordnung und Methoden der Völkerrechtswissenschaft bzw. die Methodologie des Völkerrechts (genauer der Völkerrechtsdogmatik) und die Methodologie der Völkerrechtswissenschaft.

Bei der Methodologie des Völkerrechts hat der Völkerrechtsmethodologe die gesicherten Erkenntnisse bzw. Methoden der Allgemeinen Rechtsmethodologie zu beachten und entsprechend auf das Völkerrecht anzuwenden. Dies ist die wichtigste Aufgabe der Völkerrechtsdogmatik.

Folgend seien die wichtigsten Methoden erwähnt:
1 ) Reflexivität des Völkerrechts (in erster Linie Widerspiegelung internationaler Beziehungen);
2 ) Normativität des Völkerrechts;
3 ) Funktionalität des Völkerrechts;
4 ) Völkerrechtsanalyse (real-historisch, real-logisch, ideell-historisch, ideell-logisch).44
Die Anwendung der Analyse als Methode der Völkerrechtsmethodologie bedeutet in concreto: Zergliederung des Völkerrechts als Rechtsordnung in die einzelnen Zweige, Institute sowie in die Prinzipien und Normenkategorien und Betrachten des inneren Zusammenhanges zwischen ihnen; Untersuchung der Mikro-, Makro- und Sozialstruktur des Völkerrechts;
5 )Komparativität (Vergleiche zwischen den verschiedenen Prinzipien- und Normenkategorien);
6 ) empirische Methode (Sammlung und Auswertung von Dokumenten der Völkerrechtspraxis);
7 ) Auslegungsmethoden (verbale, historische, logisch-systematische Interpretation (Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969)).

Die Völkerrechtswissenschaft hat aber einen erweiterten Untersuchungsgegenstand, wozu nicht nur Rechts-, sondern auch politische und Moralnormen in den internationalen Beziehungen gehören. Auch soziologische und politologische Fragestellungen gehören dazu.
Deswegen hat die Methodologie der Völkerrechtswissenschaft weitergehende Methoden bzw. Grundsätze. Folgend soll auf die wichtigsten Methoden eingegangen werden.
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43 Vgl. Philosophisches Wörterbuch (Anm. 7), S. 720; Die Widerspiegelungstheorie ist eine wichtige Säule der Erkenntnistheorie (Epistemologie) und findet allmählich auch in Fachbeiträgen indirekt Beachtung. Vgl. z. B. S.-U. Schmitz/K. Schubert, Politikwissenschaftliche Theorien und Methodenlehre, in: id. (Anm. 4), S. 11 (sie sprechen bezüglich des Verhältnisses von Aussagen und Realität von der „Korrespondenz oder Abbildtheorie der Wahrheit“); vgl. ferner H. Keller, Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, in: ZaöRV, 67 (2007), S. 638 (der Völkerrechtler reflektiert die Völkerrechtsrealität).
44 In Anlehnung an H. Klemer, Systemstrukturen als Gegenstand von Rechtstheorie und Rechtsphilosophie, Kap. 2 in: K. A. Mollnau (Hrsg.), Probleme einer Strukturtheorie des Rechts, 1985, S. 26/27.
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1. Komplexität. Es geht um eine komplexe Sicht völkerrechtlich wichtiger Fragen, d. h. ökonomische, politische, soziologische, philosophische, kulturelle, theologische, ethnologische etc. Aspekte sind in ihrem engen Wechselverhältnis zu sehen, ohne dabei den Boden der Völkerrechtsnormativität zu verlassen45.
Die konsequente Anwendung der Komplexität führt unweigerlich zu einer transdisziplinären Sichtweise. Es kann konstatiert werden, dass z. B. die wichtigsten Probleme im Vorderen Orient eine hohe Komplexität aufweisen. Daher kann nur ein komplexes Herangehen zu einer möglichen Problemlösung führen.

2. Systemhaftigkeit. Gerade in der Epoche der Globalisierung bedeutet dieser Grundsatz, die internationalen Beziehungen als System, als Gesamtheit von Komponenten und Akteuren zu sehen.46
Die Systembetrachtungsweise eignet sich insbesondere dazu, das System der Völkerrechtswissenschaft mit seinen Subsystemen und Teilsystemen besser zu begreifen.

3.Globalität. Dieser Grundsatz bedeutet zum ersten, dass die globalen Herausforderungen der Menschheit völkerrechtliche Regelungen ebenfalls globalen Charakters bei gebührender Berücksichtigung der legitimen Interessen aller Staaten erfordern.
Er bedeutet zum zweiten, eine weltumspannende Sicht zu entwickeln, d. h., die Welt in allen relevanten Gebieten in ihrer Vielfalt zu sehen.
Der Grundsatz gebietet zum dritten, die wissenschaftlichen Forschungsleistungen aller relevanten Kulturen und Rechtskreise zu berücksichtigen, d. h. konkret, sich von der immer noch vorhandenen unangenehmen Erscheinung des Eurozentrismus endgültig zu verabschieden.

4. Historismus. Er geht davon aus, dass jede Erscheinung historisch konkret ist, d. h. unter bestimmten historischen Bedingungen entstanden und ständiger Entwicklung und Veränderung unterworfen ist.

5. Differenziertheit. Vor dem Völkerrecht sind zwar alle Staaten gleich, das allgemeine Gerechtigkeitspostulat ( Völkerrechtsphilosophie) verlangt jedoch, bezüglich des Entwicklungsstandes und der Wirtschaftskraft der Staaten sie durch gezielte Ausnahmeregelungen unterschiedlich zu behandeln (z. B. bevorzugte Behandlungen von bestimmten Entwicklungsländern).

6. Realitätsbezogenheit. Sie verlangt von dem Völkerrechtswissenschaftler, sein Wissenschaftsgebiet im internationalen Koordinatensystem zahlreicher Faktoren realistisch zu betrachten.
Dieser Realitätssinn darf jedoch keinesfalls zu einer Geringschätzung des Völkerrechts oder etwa zu einem Völkerrechtsnihilismus führen47
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45 Diese Methode ist bereits Mitte der 80er Jahre ergebnisreich angewandt worden. Vgl. z. B. P. Terz, Die Normbildungstheorie (Eine völkerrechtsphilosophische, völkerrechtssoziologische und völkerrechtstheoretische Studie), als Fasc. 9 Tomo XXXIV, Acta Universitatis Szegediensis, 1985 sowie etwas später id., Cuestiones teoricas fundamentales del proceso de formacion de las normas internacionales, 1999. In dieser Monographie werden nicht nur die Rechtsnormen, sondern auch die politischen und die Moralnormen untersucht.
46 Vgl. ähnlich auch A. Lijphart, International social Science Journal, XXVI (1974), pp. 11 – 21
47 Insgesamt zu den erwähnten Grundsätzen der Völkerrechtsmethodologie vgl. ausführlicher P. Terz (Anm. 3), S. 468 – 480.
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Von diesen Grundsätzen der Methodologie des Völkerrechts sind Methodiken, d. h. vorwiegend technische Verfahren zu unterscheiden.

Hierzu gehören das Sammeln, das Systematisieren und das Werten völkerrechtlich relevanten Materials nach bestimmten Kriterien. Solche Methodiken spielen vor allem bei der Völkerrechtskodifikation eine sehr nützliche Rolle. Etwas weiter geht das 1980 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Projekt CA/C.6/37/L29 „Treaty making Process“.48

Die bisher behandelten Grundsätze stellen dem Wesen nach eine Allgemeine Methodologie der Völkerrechtswissenschaft dar.
Sie weist auch starke philosophische Aspekte auf, die in ihrer Gesamtheit durchaus als Philosophie der Allgemeinen Methodologie der Völkerrechtswissenschaft bezeichnet werden können. In Anwendung des Philosophiebegriffes geht es um das „Warum“ dieser Methodologie.

Hierzu bedarf es in der Perspektive weiterführender Untersuchungen. Dennoch kann schon jetzt, sozusagen philosophierend, diese Frage beantwortet werden:
a) Eine systematische und intensive Auswertung der internationalen völkerrechtswissenschaftlichen Literatur der maßgeblichen Kultur- und Rechtsweise hat bestätigt, dass es keine Allgemeine Methodologie der Völkerrechtswissenschaft gibt.
Die Ursachen hierfür sind unterschiedlich. Die ansonsten traditionsreiche und hochentwickelte Völkerrechtswissenschaft des Westens ist größtenteils Abendland zentristisch (nicht nur eurozentristisch) und betreibt Nabelschau;
b) die rechtspositivistischen Scheuklappen haben dazu geführt, dass die meisten Völkerrechtswissenschaftler nicht vermögen, über ihren Mikrokosmos hinaus zu schauen;
c) die rechtswissenschaftliche Ausbildung trägt nicht gerade dazu bei, theoretisches, philosophisches und methodologisches Denken zu fördern. Es erfolgt vielmehr eine den geistigen Horizont erheblich einengende Beschränkung auf die Rechtsmethodik;
d) es ist schon längst an der Zeit, eine transdisziplinäre Sicht zu entwickeln, die allerdings solide Kenntnisse der Wissenschaftstheorie, der Philosophie (insbesondere der Dialektik und der Erkenntnistheorie), der Logik und der Soziologie voraussetzt, was mit einer gehobenen Allgemeinbildung in Verbindung steht;
e) ist kaum damit zu rechnen, dass Philosophen oder Soziologen bereit und in der Lage wären, eine Allgemeine Methodologie der Völkerrechtswissenschaft heraus zu arbeiten;
f) spätestens seit Francisco de Vitoria und Francisco Suarez (16.Jh.) gibt es eine Völkerrechtswissenschaft, jedoch ohne eigene in sich geschlossene Methodologie.
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48 Der Autor des vorliegenden Beitrages hat dieses UN-Projekt als Gutachter jahrelang mitbegleitet.
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Die bereits behandelten Grundsätze der Allgemeinen Methodologie der Völkerrechtswissenschaft können prinzipiell auf ihre Bestandteile angewandt werden.
Weil sie allerdings gegenstandsbezogen andere Inhalte haben, hat es sich bereits als sinnvoll und notwendig erwiesen, beispielsweise von der Methodologie der Völkerrechtsphilosophie, der Methodologie, der Völkerrechtssoziologie,49 der Methodologie der Völkerrechtsdogmatik, der Methodologie der Völkerrechtsgeschichte und schließlich von der Methodologie der Geschichte der Völkerrechtswissenschaft zu sprechen.

Folgend wird aus Platzgründen nur auf die Methodologie der Völkerrechtsphilosophie eingegangen.
Die Methodologie der Völkerrechtsphilosophie stellt die Lehre von den völkerrechtsphilosophischen Methoden, Mitteln und Verfahren dar. Folgend sollen die wichtigsten von ihnen vorgestellt werden:
1 ) Man kann objektiv sachlich feststellen, dass viele Entwicklungsländer etwa seit Anfang der 70er Jahre wertorientiert-naturrechtlich argumentieren. Die reichen Industrieländer bedienen sich hingegen einer positivrechtlichen Argumentation;
2 ) Der Völkerrechtsphilosoph darf nicht nur in Kategorien des Naturrechts denken, was zu großen Illusionen führen kann.
Im Interesse der Völkerrechtswissenschaft hat er ebenso völkerrechtstheoretische, völkerrechtsdogmatische und völkerrechtssoziologische Aspekte zu beachten.
Dies gilt gleichfalls für ökonomische, politische, kulturelle, religiöse, historische und weitere Seiten einer konkreten Problemstellung;
3 ) Gerade in der Epoche der Globalisierung gilt es, keinem Eurozentrismus mehr zu huldigen, sondern auch Grundwertvorstellungen anderer Kulturkreise zu kennen und zu respektieren. Dies entspräche vollauf dem Völkerrecht als einem Ius Coexistentiae zwischen Staaten unterschiedlicher Kultur- und Rechtskreise;
4 ) Durch eine weitestgehenden Feinspezialisierung und Feindifferenzierung bei der völkerrechtswissenschaftlichen Arbeit gilt es, zwischen den Grundwerten in den internationalen Beziehungen einerseits und den Rechtsnormen, zwischen dem „Ius necessarium“ und dem Ius positivum sowie allgemeiner zwischen der Völkerrechtsdogmatik und der Völkerrechtsphilosophie zu unterscheiden.
Auf alle Fälle darf es nicht zu einer Verwechslung von Wunschvorstellungen und Realität oder etwa zu einer Verwässerung des Normativitätscharakters des Völkerrechts kommen;
5) Die Völkerrechtsphilosophie besitzt eine eigene Theorie, Methodologie und Geschichte. Diese drei Bestandteile der Völkerrechtsphilosophie machen das System dieses Wissenschaftsgebietes aus.
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49 Vgl. P. Terz. Die Völkerrechtssoziologie, Versuch einer Grundlegung in den Hauptzügen. Defensio Scientiae Iuris, Inter Gentes, in: Papel Politico, Pontificia Universidad Javeriana, 1/11/2007, pp. 259 – 303. In dieser Studie erfolgt eine gründliche Kritik verschiedener Konstrukte amerikanischer Völkerrechtler, die auf dem Altar des „Neo-Realismus“ die Normativität des Völkerrechts sowie die Völkerrechtsdogmatik geopfert haben.
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Diese unselige völkerrechtsnihilistische Tradition innerhalb der US-amerikanischen Völkerrechtslehre wird ungebremst fortgesetzt. Vgl. z. B. J. Goldsmith/E. Posner, The limits of International Law, 2005. Aber gerade auf die Völkerrechtsdogmatik als Kernstück der Völkerrechtswissenschaft kommt es an. Vgl. zutreffend G. Nolte, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, in: ZaöRV, 67 (2007), S. 673.
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Die Hauptkategorien der Völkerrechtsphilosophie bilden ihr Grundwertsystem.
Die Moralnormen wiederum bilden ein eigenes System. Die Wechselbeziehungen der Moralnormen stellen die Struktur dieser Normen dar, was mit ihrem Aufbau nicht zu verwechseln ist. Somit weist die Völkerrechtsphilosophie eine hohe Systemhaftigkeit auf;
6 ) Bei der Erforschung der Völkerrechtsphilosophie ist es sinnvoll und angebracht, sie in ihre Bestandteile aufzugliedern, die Mikro- und Makrostruktur der Moralnormen sowie das Verhältnis der Völkerrechtsphilosophie zu den anderen Säulen der Völkerrechtswissenschaft zu untersuchen.
Durch die Synthese wird andererseits die Vereinigung aller Teile, Eigenschaften, Seiten und Beziehungen der Völkerrechtsphilosophie erreicht;
7 ) Der Völkerrechtsphilosoph hat die sukzessive Genesis vom Grundwerten und Moralnormen in den internationalen Beziehungen sowie ihre historische Konkretheit zu beachten. Hierdurch ist es leichter, ihre dynamische Entwicklung und Veränderung zu begreifen;
8 ) Auch die Moralnormen besitzen als moralisch-verbindliches Verhaltensmuster eine besondere, die moralische Verbindlichkeit.
Solche Normen sind Ausdruck einesConsensus Opinionis moralis generalis. Hinsichtlich ihres Genesisprozesses gilt der Grundsatz Ex Opinione norma moralis.50

6. Zusammenfassung

1. Die Völkerrechtswissenschaft ist die Summe und das System von Kenntnissen, Erkenntnissen und Methoden über völkerrechtlich bedeutsame Materien. Ihr Gegenstand ist breiter als jener des Völkerrechts.

2.Die Völkerrechtswissenschaft hat folgenden Bestandteil und zugleich Wissenschaftsgebiete in statu nascendi: Völkerrechtstheorie, Völkerrechtsphilosophie, Völkerrechtssoziologie und Völkerrechtsmethodologie.
Weitere integrale Bestandteile der Völkerrechtswissenschaft existieren bereits: Völkerrechtsdogmatik, Geschichte des Völkerrechts und Geschichte der Völkerrechtswissenschaft.

3. In epistemischer Hinsicht geht es bei der Theorie um das „Was“ bei der Philosophie um das „Warum“ und bei der Methodologie um das „Wie“.

4. Die Völkerrechtstheorie stellt eine systematisch-logisch geordnete Menge von Aussagen und Erkenntnissen über die gesamte Völkerrechtsordnung, über ihre eigenen Bestandteile sowie über ihr Verhältnis zu der Völkerrechtsphilosophie und zur Völkerrechtsmethodologie dar.

5. Die Völkerrechtstheorie hat folgende Funktionen: Empirische, Durchdringungs-, Analytische, Ordnungs-, Normative, Prognostische und Erklärungsfunktion.

50 Vgl. hierzu besonders ausführlich P. Terz, Für die Erhöhung der Humanität des Völkerrechts, in: id. (Hrsg.), Normbildungstheorie im Völkerrecht-Gerechtigkeit-NIWO, 1988, S. 7 – 24. In diesem Beitrag sind diese und weitere neuen Fachtermini geprägt worden.

6. Die Völkerrechtsphilosophie versteht sich als die Wissenschaft von der Anwendung philosophischer bzw. rechtsphilosophischer Erkenntnisse auf völkerrechtlich bedeutsame Materien in den internationalen Beziehungen.

7. Die Theorie der Völkerrechtsphilosophie untersucht in erster Linie Wesen und Bedeutung der Völkerrechtsphilosophie, das Verhältnis der Völkerrechtsphilosophie zu den anderen Bestandteilen der Völkerrechtswissenschaft und durchdringt theoretisch alle Gegenstände der Völkerrechtsphilosophie selbst.

8. Die Völkerrechtsmethodologie besteht aus der Methodologie der Völkerrechtsdogmatik und der Methodologie der Völkerrechtswissenschaft.
Die Methodologie der Völkerrechtsdogmatik hat die folgenden Grundsätze: Reflexivität, Normativität, Funktionalität, Rechtsanalyse und Komparativität.
Die Grundsätze der Methodologie der Völkerrechtswissenschaft sind Komplexität, Systemhaftigkeit, Globalität, Historismus, Differenziertheit und Realitätsbezogenheit.

9. Die Theorie der Völkerrechtsmethodologie befasst sich hauptsächlich mit Wesen und Bedeutung der Völkerrechtsmethodologie, mit ihrem Verhältnis zu den anderen Bestandteilen der Völkerrechtswissenschaft und wirkt theoretisch auf alle Gegenstände der Völkerrechtsmethodologie ein.

10. Von der Methodologie der Völkerrechtswissenschaft sind Methodiken zu unterscheiden, die eher einen technischen Charakter besitzen (Verfahren, Arbeitstechniken).

11. Jedes Bestandteil der Völkerrechtswissenschaft hat bei Beachtung auch der Grundsätze der Allgemeinen Methodologie der Völkerrechtswissenschaft eine eigene Methodologie.

12. Die Methodologie der Völkerrechtsphilosophie stellt die Lehre von den völkerrechtsphilo- sophischen Methoden, Mitteln und Verfahren dar.

13. Der Völkerrechtsphilosoph muss vor allem die Forschungsergebnisse des Völkerrechts- theoretikers, des Völkerrechtsmethodologen, des Völkerrechtsdogmatikers und des Völkerrechtssoziologen kennen.

14. Zwischen den Bestandteilen der Völkerrechtswissenschaft als System gibt es Wechselbeziehungen, die in ihrer Gesamtheit die gnoseologische Struktur der Völkerrechtswissenschaft ausmachen.

15. Theorie, Methodologie und Geschichte der Völkerrechtsphilosophie als Teilsystem der Völkerrechtswissenschaft sind Subsysteme. Ihre Beziehungen untereinander stellen die Struktur der Völkerrechtsphilosophie dar.

16. Das Völkerrecht ist ein Ius Coexistentiae zwischen Staaten unterschiedlicher Kultur- und Rechtskreise.

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