Mythos, Geschichte, Epos, Glaube, Metamorphose
1. Was bedeutet der Begriff “Geschichte”?
Nach dem Geschichtsverständnis, das bereits im 19. Jahrhundert im fortgeschrittenen Europa vorherrschte, ist die Geschichte eine anerkannte Wissenschaft, die sowohl in der universitären Ausbildung als auch in der Forschung von Fachleuten behandelt wird. Die Geschichte befasst sich mit der Entstehung und Entwicklung bestimmter Ereignisse und Phänomene. Das Problem liegt vor allem in der Interpretation der Ereignisse, die von der methodischen Herangehensweise und der Positionierung des betreffenden Fachmanns abhängt, ob z. B. die idealistische oder materialistische oder eine andere Methode angewandt wird. Die erste befasst sich in erster Linie mit Fakten in Verbindung mit Ideen, während die zweite in erster Linie Klassenkämpfe und Produktivkräfte zum Gegenstand hat. Vielmehr führt eine Kombination der beiden Hauptmethoden zu korrekteren Ergebnissen. Ein weiteres Problem wird festgestellt, wenn der Historiker beispielsweise dazu neigt, die objektive Realität wiederzugeben oder sie aus nationalistischen Gründen falsch zu interpretieren oder gar zu verzerren. Dies ist in der Regel in den Schulbüchern einiger Länder der Fall, in denen im Rahmen der patriotischen Erziehung die Wahrheit absichtlich verzerrt oder die Wahrheit durch Unterdrückung wichtiger Ereignisse verfälscht wird. Unabhängig vom spezifischen Zweck von Geschichtsbüchern verlangt das Ethos des Wissenschaftlers, dass ein Historiker immer und überall die objektive Wahrheit veröffentlicht und nicht seine eigene subjektive “Wahrheit”, die natürlich nur eine subjektive Interpretation oder Fehlinterpretation ist. Bei besonders wichtigen internationalen Ereignissen wird die Regel des Vergleichs der Meinungen von Historikern angewandt und dann das methodische Prinzip des consensus generalis professorum et doctorum (allgemeiner Konsens der Professoren und Doktoren) angewandt, das sich in Universitätslehrbüchern und Wörterbüchern widerspiegelt. Überdies ist jeder Wissenschaftler von Berufs wegen verpflichtet, in seinen Büchern auch andere Meinungen zu einem bestimmten Sachverhalt zu erwähnen, und nicht nur seine eigene Meinung. Die Mehrheit der Geschichtswissenschaftler lehnt den Mythos zu Unrecht ab, weil sie nicht bereit sind, die besondere Rolle des menschlichen Unterbewusstseins zu berücksichtigen. Dasselbe gilt für die ausschließlich auf der Vernunft basierende ideologische Kritik am Mythos.
2. Mythos
Der Begriff “Mythos” bezog sich in der polytheistischen Antike zunächst auf Erzählungen über die Götter und die Überlieferung von der Existenz und dem Wirken göttlicher Mächte (Totemismus, Monotheismus). Mythen dienen grundsätzlich dazu, dem menschlichen Leben einen Sinn zu geben. Es sei daran erinnert, dass die unvergleichlichen antiken griechischen Mythen zusammen mit der Philosophie und der Kultur der alten Griechen im Allgemeinen zu den wichtigsten Grundlagen des westlichen Kulturkreises gehören. Ferner ist die moralische und formende Rolle dieser Mythen schon von der Antike bis zur Gegenwart beachtlich. Die Ilias war bereits im antiken Griechenland die Grundlage für eine angemessene Erziehung der Schüler. In Indien stützt sich die schulische Erziehung der Kinder auch heute noch auf die Epen Ramayana (im Wesentlichen ein ideologisches Instrument zur Rechtfertigung des unmenschlichen Kastensystems) und insbesondere Mahabharata (ein sehr humanistischer Mythos). Das Gleiche gilt für das persische Epos Shahname und das georgische Epos “Der Riese mit dem Tigerfell” von Shota Rustaveli. In der Geschichte der Menschheit wurden Mythen leider teilweise von den herrschenden Klassen in ein ideologisches und politisches Werkzeug verwandelt, um die Macht z.B. des Pharao oder des orientalischen Despoten über die Massen zu legitimieren. Die wichtigsten Arten von Mythen sind die folgenden: α) Mythen, die sich mit der Erschaffung des Universums befassen (Theogonien, Kosmogonien, Anthropogonien). b) Mythen, die sich mit dem Ende der Welt befassen (Eschatologien). (c) Soteriologien (Messianismen). (d) Mythen, die sich mit dem Lauf der Welt befassen (Epochen, Wandlungen). (e) Darüber hinaus werden auch nationale Mythen erwähnt, die sich auf die Genese einer Nation oder auf große nationale Taten beziehen. Und doch können Mythen einen erheblichen positiven oder negativen Einfluss auf die nationale Identität ausüben. Im Folgenden sollen einige besondere nationale Mythen erwähnt werden: (1) Der größte griechische Nationalmythos besteht in dem Glauben, dass alle Neugriechen Nachkommen der alten Griechen sind. Weiterhin gehören die “Einzigartigkeit” oder “Besonderheit” der Griechen, die fast rassistische Auffassung von der “Überlegenheit” der Griechen und der “griechische Dämon” zu den allgemeinen Mythen der heutigen Griechen. Im Grunde handelt es sich dabei um eine nationale Selbstbefriedigung, denn diese Mythen stehen im Widerspruch zur Realität, und es gibt einen Grund, die Neugriechen im Allgemeinen als mythensüchtig zu bewerten. (2) Die Franzosen tun etwas Ähnliches, indem sie sich ausschließlich als reine Nachfahren der alten Kelten (Galli) betrachten und den wichtigsten alten germanischen Stamm der Franken, von dem sich der Ethnonym Frankreich ableitet, beiseiteschieben. (3) Die “Turanischen Völker” behaupten, von einem “Grauen Wolf” abzustammen. (4) Die Rumänen behaupten, dass sie von den Römern abstammen, vergessen aber die Daker (Thraker). In der Tat hat sich die Mehrheit der Daker mit der Minderheit der Römer vermischt, aber die Sprache ist neulateinisch. So wurden die ethnischen Namen der Valahi Moldavi in Romani (Römer) geändert. (5) Die Bulgaren weisen stark auf den slawischen Ursprung hin, mittlerweile auch ein wenig auf den thrakischen, aber sie vergessen absichtlich die asiatischen Hunnen (Asparuch, Isparich). (6) Die Nordmakedonier sind in erster Linie eine Mischung aus Illyrern, Thrakern, Slawen, mittelalterlichen Bulgaren und Albanern, aber da sie keine bedeutende Geschichte besitzen, sind sie zu “Nachfahren” der alten Makedonier mutiert. f) Die politischen Mythen sind eine besondere Erscheinungsform von Mythen im Allgemeinen und sie werden vor allem mit der Demokratie in Verbindung gebracht. Der Ausgangspunkt politischer Mythen von weltgeschichtlicher Bedeutung ist der Dreiklang der Französischen Revolution von 1789 Liberte, Egalite, Fraternite (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Viele europäische Länder, darunter auch Griechenland, haben zwar das Schema wichtiger politischer Errungenschaften wie des bürgerlichen Staates übernommen, nicht aber dessen Wesen, weil die historischen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für die Errichtung eines modernen demokratischen Staates völlig fehlten. Das Gleiche gilt für die anderen Balkanstaaten sowie für die lateinamerikanischen Staaten. In diesen Staaten sind die demokratischen Institutionen noch unterentwickelt, während der Mythos eines fortgeschrittenen demokratischen Systems geschaffen wurde. Besonders in Griechenland ist auch der linke Mythos zu konstatieren, der bereits in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts tiefe Wurzeln hat: (1) Die Linken waren und sind angeblich moralisch überlegen im Vergleich zu den Rechten. (2) Die Linken haben eine bessere Bildung, weil sie über Kenntnisse des Marxismus-Leninismus verfügen. (3) Nur die Linken kämpfen konsequent für die soziale Gerechtigkeit. (4) Nur die Linken sind in der Lage, alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen.
3. Epos
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Epos ein relativ langes Gedicht über Helden. Sie thematisiert häufig Themen aus der Mythologie und der alten Geschichte. Das Epos wird im Allgemeinen nicht als zuverlässige historische Quelle angesehen. Meine Bibliothek enthält fast alle wichtigen Epen aus verschiedenen Zeiten, Kulturen und Ländern, darunter das älteste Epos der Menschheit Gilgamesch (vor etwa 4.500 Jahren), natürlich die Ilias und die Odyssee, die Aeneis (Virgil), die indischen Epen Mahabharata und Ramayana, das deutsche Epos Die Nibelungen, das persische Epos Schahname, das finnische Epos Kalevala, das georgische Epos Der Held mit dem Tigerfell, der irische Epos Der Rinderraub und das russische Epos Rajivilovskaya Letopis (Die Chronik von Ratchevil). In allen Epen handelt es sich um Gedichte (Produkte der dichterischen Phantasie), die mit einer in erster Linie eigenwilligen Interpretation bekannter historischer Ereignisse verbunden sind. So war der Grund für den Trojanischen Krieg der Interessenkonflikt der Achäer mit Troja (Ilion, im hethitischen Vilousa) und nicht die Entführung der schönen Helena. Schliemanns Entdeckung bezog sich tatsächlich auf eine Zeit 1000 Jahre vor dem Trojanischen Krieg usw. Und doch hätte Schliemann ohne Homer weder Troja noch Mykene gefunden. Damit ist hinreichend bewiesen, dass es den Archäologen jener Zeit an schöpferischer Phantasie mangelte. Der historische Reisende Pausanias 2. Jh. n. Chr. (nicht verwandt mit dem spartanischen König Pausanias), der aus Kleinasien stammte, stützte seine “Reisen” auf das, was er selbst vorfand (Unterschied zu Herodot), aber auch auf viel ältere Quellen. Sein Buch ist wichtig für das Verständnis der antiken Geschichte der Zivilisation, enthält aber auch viele Fehler. Im Folgenden wird auf konkrete Beispiele aus der griechischen Mythologie eingegangen: a) Ist Homers Ilias, Geschichte oder Dichtung? Es besteht ein internationaler Konsens unter Altphilologen (consensus generalis professorum et doctorum), dass die Ilias und das indische Mahabharata epische Gedichte mit einem historischen Kern sind (einige Ereignisse in der Bronzezeit). In der königlichen Bibliothek in der hethitischen Hauptstadt Hattuscha (Argyroupolis, Silberstadt) wurden fast alle Staatsarchive in Keilschrift gefunden. In einem Dokument wird ein Brief des hethitischen Königs an das Oberhaupt der Achaiyava (Achäer) erwähnt, in dem er sie auffordert, die Stadt Vilousa sofort zu verlassen, da er sie sonst schwer bestrafen werde. Er nennt sie Räuber! Das Hethitische gilt als die älteste indoeuropäische Sprache. Ihr eigenes Epos ist etwa 600 Jahre älter als die Ilias und heißt Ullikummi. Historiker gehen davon aus, dass die Griechen Getreide aus der Ukraine (“Schwarzes Land”: Fruchtbares Land) einführten, aber gezwungen waren, der Stadt Ilion, welche die Fahrt durch die Dardanellen kontrollierte, hohe Zölle zu bezahlen und sie dadurch zu großem Reichtum gelangte. Doch als Ilion die Zölle wiederholt erhöhte, beschlossen die Achäer, das Problem endgültig kriegerisch zu lösen. b) In der Odyssee wird die lange und abenteuerliche Reise des Odysseus erwähnt. In Wirklichkeit waren es jedoch zahlreiche Reisen und ähnliche Abenteuer von Hunderten von Griechen in der Bronzezeit, welche die Grundlage für die Literatur des Epos bildeten. c) Die Göttin der Schönheit und des Krieges Aphrodite kam als Ischtar aus Babylonien nach Phönizien, wo ihr Name in als Aschterut umgewandelt und vor ca. 3200 Jahren von den Phöniziern nach Zypern gebracht wurde, wo sie in Aphrodite (die aus dem Schaum Steigende) umbenannt wurde. So macht der Name macht einen Sinn.
4. Glaube, Mythos, Metamorphose
α) Der Glaube ist eine Sache, Wissen eine andere. Der Glaube ist jedem Menschen inhärent, denn, wie vor einigen Jahren von führenden Neurobiologen wissenschaftlich nachgewiesen wurde, existiert in seinem Gehirn unter den 100 Milliarden Neuronen eine Gruppe, die für den Glauben im Allgemeinen, aber ohne religiöse Konkretisierung, zuständig ist. Der Mensch kann heidnisch, polytheistisch(Hindus), pantheistisch oder monotheistisch, monotheistisch usw. sein. Der Glaube ist seine eigene Angelegenheit und zugleich ein Menschenrecht. Mit anderen Worten: Es ist nachgewiesen worden, dass der Glaube Teil der menschlichen DNA ist. Daher ist es unmöglich, sie zu verbieten. Ungerecht, unzivilisiert und unwissenschaftlich handeln daher auch diejenigen, die sich über Gläubige lustig machen (Siehe ausführlich hier im Blog den Beitrag Glaube).
β) Der Glaube ist zuerst in den Mythen aller Völker zum Ausdruck gekommen, d.h. die Religion ist durch die Mythologie gegangen. Der neutrale und objektive Beobachter kann die drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) besser verstehen, wenn er sich systematisch mit der vorangegangenen Mythologie der Völker des Nahen und Vorderen Orients beschäftigt.
γ) Die Menschen beobachten seit Tausenden von Jahren die ewige Natur, d.h., besonders die Pflanzen, die Bäume, Früchte und nach der Erfindung der Landwirtschaft das Getreide, Sie richten ferner ihr Augenmerk auch auf den Mond und später auf die Sonne. In der Mythologie vieler Völker wurde die Naturphänomene mit der Geburt bestimmter Gottheiten (Osiris, Tumuts, Adonis usw.) in Verbindung gebracht, die im Winter starben und im Frühjahr wieder zum Leben erwachten (Auferstehung).
δ) Die Metamorphosen waren ein fester Bestandteil aller heidnischen und polytheistischen Religionen und insbesondere der totemistischen Mythen und sogar der Gedichte (z. B. Ovid, “Metamorphosen”). Am bekanntesten sind die Verwandlungen von Menschen in Tiere, z.B. die Verwandlung von Piraten in Fledermäuse, von Hyazinthen in eine Blume gleichen Namens wie Narziss, von Daphne in einen Baum, von der Braut Syrinx in eine Flöte etc. Neue Religionen übernahmen aus Gründen der Zweckmäßigkeit teilweise die Tradition heidnischer Religionen; so auch das Christentum, der Islam und in großem Umfang der Hinduismus, um die Religionen für das einfache Volk akzeptabel zu machen. Normalerweise haben z.B. die vielen Ikonen in römisch-katholischen wie auch orthodoxen Kirchen und die gesamte Liturgie nichts mit dem christlichen Glauben zu tun und sind dennoch notwendig.
e) Dasselbe gilt für die Zahl drei (“Heilige Dreifaltigkeit”). Bereits in der Mittelsteinzeit (8000 -5.500 v. Chr.) war die symbolische Bedeutung der Drei bekannt: Mond, Erde, Unterwelt (Reich des Hades). Der Mond war die oberste Gottheit, weil die Wildjäger mit Hilfe des Mondlichts auf Jagt gingen. Durch den Ackerbau im Neolithikum wurde der Mond durch die Sonne ersetzt, die plötzlich zur obersten Gottheit erhoben worden war. Im Vorderen Orient gab es in der Regel göttliche Dreifähigkeiten, z. B. in Ägypten Isis, Osiris und Horus, in Mesopotamien dasselbe (Vater, Mutter und Sohn). Daraus entstand die christliche Heilige Dreifaltigkeit, nur dass die Mutter durch den Heiligen Geist ersetzt wurde. Die patriarchalische Weltanschauung hatte jedoch die Mutter aus der Trinität ausgeschlossen. In der Philosophie wurde die Trinität vor allem von Aristoteles (drei Gewalten bzw. drei Elemente des Staates) und in der jüngeren europäischen Geschichte von den drei weltgeschichtlichen Parolen der Französischen Revolution von 1789 (Liberte, Egalite, Fraternite) fortgeführt (siehe ausführlich hier im Blog den Beitrag Die Heilige Dreifaltigkeit in der Mythologie.
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veröffentlicht in Griechisch oft in: Vima (22. 10. 2012),Κathimerini (20.11.2014) und iefimerida (12.11.2015, 10.10.2017) in Auseinandersetzung mit dem griechischen Philosophen und Theologen Christos Giannaras
aus meinem Buch: Παναγιώτης Δημητρίου Τερζόπουλος (PanosTerz): Εγκυκλοπαιδική και Κοινωνική Μόρφωση, Εκλαϊκευμένα: Θρησκεία, Ιστορία, Εθνολογία, Πολιτισμός, Γλωσσολoγία, Δεύτερος Τόμος (Enzyklopädische und Allgemeinbildung: Religion, Geschichte, Ethnologie, Kultur, Linguistik, Zweiter Band) , ISBN: 978-620-0-61339-4, Saarbrücken 2020, 284 S., S.13ff.