Völkerrecht, Durchsetzung

Völkerrecht undMacht

1. Seit 1945 gilt die UNO-Charta als die ausschlaggebende Grundlage des Völkerrechts. Vor allem kleinere und mittlere Staaten berufen sich auf dieses Recht. In der Zeit des Kampfes gegen den Kolonialismus haben sich die betreffenden Völker auf dieses grundlegende Völkerrechtsprinzip mit Erfolg gestützt.
2. Heute geht es in erster Linie um das völkerrechtliche Grundprinzip des Verbotsder Gewaltandrohung und Gewaltanwendung, das hauptsächlich von den USA, sowie in Einzelfällen von Frankreich und dem U.K. verletzt wurde. Dennoch haben sich die Rechtsverletzer auf das Völkerrecht berufen, um sich zu rechtfertigen. Auch Russland hat sich bei der Rechtfertigung des Angriffskrieges auf die UNO-Charta (Art. 51, Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung) gestützt. In all diesen Fällen erfolgte jedoch eine missbräuchliche und willkürlich Interpretation dieser Charta-Bestimmung. Kein Rechtsverletzer hat wie vor dem Zweiten Weltkrieg expressis verbis erklärt, andere Staaten überfallen und annektieren zu wollen.
3. Auf der Basis des Internationalen Strafrechts wurden etliche ehemalige Präsidenten, Ministerpräsidenten und Minister sowie Generäle strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Allerdings das internationale Kräfteverhältnis spielt dabei eine eminente Rolle. Geht es z.B. um die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam, war es kaum möglich, die verantwortlichen US-Präsidenten als Kriegsverbrecher zu bestrafen. Allerdings wurde ein internationales Tribunal, bestehend aus Völkerrechtlern aus einigen Staaten gebildet, das auf der Grundlage des Völkerrechts USA-Präsidenten als Kriegsverbrecher gebrandmarkt hat. Das ist nicht geringzuschätzen, denn es kann die internationale öffentliche Meinung erheblich beeinflussen.
4. In einigen Staaten mit überdurchschnittlich hoher Kriminalität (z.B. Süd-Afrika, Mexiko, teilweise auch die USA) wird das nationale Strafrecht tagtäglich tausendfach verletzt, wobei nicht alle Straftäter verfolgt werden können. Aber hieraus die Schlussfolgerung abzuleiten, dass es in diesen Staaten kein Strafrecht mehr gäbe, wäre völlig verfehlt. Also, um es rechtstheoretisch zu formulieren, die Verletzung des Strafrechts, in unserem Fall des Völkerrechts, hebt dieses nicht auf.
5. Das Völkerrecht hat mehrere Zweige aufzuweisen, wie z.B. das Internationale Vertragsrecht, das Diplomaten- und Konsularrecht, das Internationale Seerecht , das Weltraumrecht, deren Prinzipien und Normen durchaus auch im eigenen Interesse respektiert werden.
6.Schlussfolgerung: Es ist beim besten Willen nicht so, dass der Stärkere machen kann, was er will. So dachte auch Russland, das es gewagt hat, nicht nur einen Angriffskrieg vom Zaun zu brechen, sondern auch ukrainisches Staatsgebiet zu annektieren, mit den bekannten Folgen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.5.23)

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