Byzanz zwischen dem antiken griechischen Geist und der europäischen Renaissance

Byzanz zwischen dem antiken griechischen Geist und der europäischen Renaissance (Die vorliegende Studie ist eine symbolische Hommage an den größten Weisen aus dem Pontos (Kardinal der römisch-katholischen Kirche und lateinischer Patriarch von Konstantinopel, Philosoph, Theologe, Gelehrter, Humanist und Großer Förderer der Renaissance ), den genialen Trapezuntier Wasilios Wissarion (Βασίλειος  Βησσαρίων),

Gliederung

1.Terminologie, 2.Bestandteile des Imperium Romanum Oientalis, 3. Kultur von Byzanz, 4. Patriarch Photius und Michael Psellos, 5. Kritik, Zweifel, 6. Errungenschaften der Theologie, 7. Wissenschaft und Bildung, 8. Das antike griechische Erbe, 9. Probleme, Mangel an Kreativität, 10. Byzanz als kultureller Erbe der antiken griechischen Zivilisation, 11. Byzanz als Vermittler zwischen der Antike und dem Westen

1. Terminologie

Der offizielle Name des Reiches war Imperium Romanum Orientalis (Ost-Römisches Reich), aber nach dem 7. Jahrhundert wurde die Bezeichnung „Imperium der Römer“ eingeführt sie und blieb bis 1453 bestehen. Die kaiserliche Amtssprache war Latein, wurde aber zwischen dem 6. und 7. Jahrhundert durch die überlegene griechische Sprache ersetzt, die ohnehin von den Gebildeten im ganzen Reich verwendet wurde, und die zweifellos ebenso haushoch überlegene griechische Kultur setzte sich durch, während im Westen das Lateinische die zahlreichen Sprachen der eroberten Völker verdrängen konnte. Mit anderen Worten, im Osten fanden die römischen Eroberer buchstäblich ihren Lehrmeister. Der große Politiker und Redner Cicero, als ob er auch dies vorausgesehen hätte, sagte (Zitat aus dem Gedächtnis: Wir haben Graecia militärisch besiegt, aber sie hat uns kulturell besiegt!). Die herrschende Klasse bestand vor allem aus Römern mit lateinischen Namen mit dem üblichen Suffix -us, das durch das griechische Suffix -os ersetzt wurde (z.B. Mutation von Constantius oder Constantinus zu Constantinos, was einfach Eustratios bedeutet, Iustinianus zu Justinianos, Paulus zu Pavlos etc.). Der Kaiser und angebliche “Heilige” Constantinus war also ein echter Romanus (Römer) und kein Grieche. Der Begriff Byzantinisches Reich wurde erst im 19. Jahrhundert von europäischen Historikern eingeführt, aber bereits im 16. Jahrhundert haben europäische Humanisten (griechische und lateinische Philologen) den Begriff Byzanz verwendet.

2. Bestandteile des Imperium Romanum

Die folgenden Bestandteile des Imperium Romanum Orientalis unterschieden es grundlegend vom Imperium Romanum Occidentalis (Westlich: ): Antike griechische Zivilisation, hellenische Zivilisation, römisches Recht, einige Errungenschaften der östlichen Zivilisationen, insbesondere der persischen (einschließlich Kleidungsinnovationen: Roben für alle, z.B. auch für Bischöfe, Kopfbedeckungen usw., die immer noch in Mode sind). Unter dem großen Einfluss des Christentums als einer gut organisierten imperialen Religion wurde eine interessante Synthese aus den oben genannten Elementen hergestellt, die den Grundstein für das 1000 Jahre andauerndes Imperium legte! Dies ist an sich schon eine enorme historische Leistung. Auf kulturellem Gebiet wurde der griechische Einfluss allmählich und systematisch verstärkt, während sich parallel dazu die christliche Religion durchzusetzen begann. Gleichzeitig hat sich Byzanz auf wirtschaftlichem, politischem und sozialem Gebiet zu einem neuen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem entwickelt, das sich weit vom ursprünglichen Imperium Romanum entfernt hat, von dem nur noch Namen und einige Traditionen in der Armee, der Verwaltung und natürlich im gesamten Rechtssystem übrig geblieben sind.

3. Kultur von Byzanz

Sein hochentwickeltes Wirtschafts- und Finanzsystem, seine Vormachtstellung im internationalen Handel, sein überentwickeltes Rechtssystem, seine in jeder Hinsicht überlegene Kriegskunst, seine perfekt ausgebildeten kaiserlichen Beamten, seine verfeinerte Kultur und seine allgemein überlegene soziale Fürsorge haben Byzanz eine internationale Vormachtstellung verschafft. In der Tat war Byzanz in militärischer, kultureller, wissenschaftlicher und diplomatischer Hinsicht eine Supermacht. Die byzantinische Zivilisation erreichte einen solchen Glanz, dass andere europäische Nationen sie bewunderten und daher Byzanz als das “Versailles des Mittelalters” betrachteten. Besonders in der Zeit zwischen 850 und 1000 hat Byzanz in der islamischen, slawischen und westlichen Welt so stark geglänzt, dass andere Völker und andere Reiche seine Kultur bewunderten und nachahmten, ohne jedoch sein Niveau zu erreichen. Dennoch finden wir in der Kulturgeschichte von Byzanz keine immer erfolgreiche Kontinuität. Die meisten Historiker bezeichnen die Zeit zwischen 650 und dem 8. Jh. wie auch das Mittelalter in West-Europa als “dunkel”, dennoch dennoch gab es dort beachtliche Entwicklungen, wie der Aufstieg des Bürgers in den Städten als Zeichen radikaler sozialer Veränderungen, die relative Autonomie des Bürgers gegenüber der Obrigkeit, vor allem der Kirche, und, besonders wichtig, die Ausrichtung des menschlichen Denkens auf irdische Probleme. Aber die Befürworter des europäischen Rinascimento (Renaissance) wollten die neue Ära sicherlich dadurch kennzeichnen, dass sie das gesamte Mittelalter verächtlich als “dunkles Zeitalter” bewerteten, was, wie bereits in den 80er Jahren von Fachleuten nachgewiesen wurde, eine große Übertreibung und damit eine falsche Wahrnehmung war. Die Humanisten begingen den gleichen Fehler, indem sie das gesamte Mittelalter als völlig rückständig verdammten und verachteten.Die oben genannten Merkmale des europäischen Mittelalters konnten in Byzanz zwischen dem 7. und 8. Jahrhundert vor allem wegen der ununterbrochenen Kriege nicht auftreten. Im 9. Jh begann eine systematische Beschäftigung mit der antiken griechischen Kultur. Dieses Phänomen kann allgemein als eine Art “Renaissance” und “Humanismus” in Byzanz bezeichnet werden. Zwei herausragende Persönlichkeiten, nämlich der Patriarch Φώτιος und Michael Psellos (Ψελλός), taten sich dabei besonders hervor. Wir werden sie ausführlich erwähnen, denn sie sind unsere eigenen geistigen

4. Patriarch Photios und Michael Pellos

Unter den Byzantinologen besteht ein internationaler Konsens darüber, dass Patriarch Photios der größte Lehrer und der größte Weise des 9. Jahrhunderts, der bedeutendste Geist, der prominenteste Politiker und der begabteste Diplomat war. Er entschied, dass die Brüder Kyrill (Κύριλλος) und Methodiοs (Μεθόδιος) zu den Slawen geschickt werden sollten, um sie vermittels der christlichen Religion und Schrift zu zivilisieren. Er begründete auch die Theorie der zwei Gewalten (Kaiser und Patriarch als gleichberechtigte Gewalten). Er hat durch die “Bibliothek” (“Myriovivlos”) mit großen Studien und mit seinen eigenen Kommentaren zu 386 Werken der antiken griechischen sowie des byzantinischen Schrifttums erheblich zur Erschließung des Erbes beigetragen. Michael Psellos war der größte Enzyklopädist in der gesamten tausendjährigen Geschichte von Byzanz. Er veröffentlichte zahlreiche Schriften in den Bereichen Philosophie, Geschichte, Rhetorik, Recht und Naturwissenschaften. Überdies hat er 500 Briefe geschrieben. Er war ein hervorragender Kenner des antiken geistigen Erbes. Internationale Byzantinologen heben seine seltene Fähigkeit hervor, historische Persönlichkeiten komplex und vielschichtig zu untersuchen und dabei ihre psychologischen Widersprüche aufzuzeigen. Die offizielle große deutsche Enzyklopädie Brockhaus schreibt über den großen Psellos folgendes sehr Beeindruckendes: “So kann Psellos als Vorläufer der Renaissance-Gelehrten gesehen werden” (Kunst und Kultur, Bd. 3, S. 668 ). Meiner bescheidenen Meinung nach gibt es keine größere Anerkennung für den brillanten Psellos.

5. Kritik, Zweifel

Um den Unterschied zwischen Byzanz und dem Westen besser verstehen zu können, ist die Kenntnis der geistlichen Traditionen der Orthodoxie und des römischen Katholizismus notwendig. Während z. B. die westliche Kirche auf den Ergebnissen des römischen Rechtsdenkens beruht, ist die Grundlage der Ostkirche der antike griechische Idealismus, insbesondere der Platonismus. Aus diesem grundlegenden Unterschied leiten sich die völlig unterschiedlichen Fragestellungen ab, die im Mittelpunkt der jeweiligen Betrachtung und Auseinandersetzung stehen. So hat sich die westliche Theologie vor allem mit Fragen moralischer Natur befasst, während die byzantinische Theologie im 9. Jahrhundert vor allem das Wesen der Heiligen Dreifaltigkeit und das Wesen Jesu Christi zum Hauptthema machte. Aus Platzgründen ist es nicht möglich, speziell auf die Frage des filioque einzugehen (nach katholischer Theologie ist nicht nur Gott der Vater die Quelle des Heiligen Geistes, sondern auch der Sohn Jesus Christus).Obwohl die Deutung des dreifaltigen Gottes bekannt ist, ist es nicht möglich, sie logisch und verständlich zu machen, wenn man nicht blind und unreflektiert an alle christlichen glaubt. Der oben erwähnte weise Psellos ging nicht diesen formalen Weg, sondern respektierte den Verstand, untersuchte die Dinge und war bestrebt, zum Wesen, zum punctum quaestionis der Phänomene vorzudringen. Er vertrat auch die Meinung, dass etwas, das der Natur widerspricht, keinen Platz in ihr hat. Es ist sehr interessant festzustellen, dass Psellos, wie der westliche Philosoph und Humanist Petrus Abaelard (11./12. Jh.) und der führende persische Philosoph al Farabi (10. Jh.), versuchte, den Glauben mit dem Diskurs der alten Griechen in Einklang zu bringen. So ist es kein Zufall, dass spätestens im 12. Jahrhundert die Gleichgültigkeit und der Zweifel der Gläubigen so stark zu werden begannen, dass die Kirchen nicht mehr so häufig gefüllt waren wie früher. Einige Feudalherren zeigten bereits ihre Verachtung für den Patriarchen. Nach und nach erschienen satirische Texte wie der folgende mit dem spöttischen Titel “Über die Verbesserung des Lebens der Mönche”. Sein Autor war Ευστάθιος (Eustathiοs) von Thessaloniki, einer der größten Philologen der altgriechischen Literatur, Professor an der Patriarchatschule in Konstantinopel und späterer Erzbischof von Thessaloniki. Auch Martin Luther, der Begründer des Protestantismus, hat solche Texte verfasst, allerdings dreihundert Jahre später! Die Werke weiterer Philosophen und Theologen weisen rationalistische Tendenzen auf. Die orthodoxe Kirche duldete natürlich dies nicht und begann, Rationalisten hart zu bestrafen. Zuerst bestrafte sie Johannes den Italiener, weil er grundlegende Lehren nicht anerkannte und außerdem wagte es, die Meinung zu äußern, dass die Vernunft (Aristoteles) Vorrang vor dem Glauben haben müsse ! Dies war ohne Übertreibung heldenhaft. Nach ihm wurde sein Schüler Eustratios von Nicäa bestraft, weil er in theologischen Dialogen Regeln der Logik, aber nie Zitate aus dem Evangelium und den Schriften der “Heiligen Väter” verwendete. Sein Kommentar zu Aristoteles war im Westen einflussreicher als im Osten ( A.P. Kaschdan, S.170. siehe in den Quellen). Im 12. Jahrhundert wurde Michael Glykas schwer bestraft, geblendet und in ein Kloster eingesperrt, wo er starb. In seiner Schrift “Über die göttlichen Mysterien” hat er fast alle Lehren der Orthodoxie angezweifelt, darunter auch die leibliche Auferstehung der Sterblichen. Er schrieb unter anderem, dass Jesus Christus für sich selbst gekreuzigt wurde, d.h. es hat sich um seine persönliche Sache gehandelt. Aber im Allgemeinen wollte die Kirche Menschen, die sich Gott und dem Kaiser fast als Gott unterordnen und nicht denkende und vor allem zweifelnde Menschen. Nun, die westliche Kirche hat verblendet, die Ostkirche hat ebenso verblendet und der Islam hat enthauptete die kritisch denkenden Rationalisten als “Ketzer” enthauptet. Meiner Meinung nach waren das Helden und Märtyrer des kritischen Denkens.

6. Errungenschaften der Theologie

Dennoch gab es große Erfolge in der Theologie, die einen bedeutenden Einfluss auf die Theologie im Westen ausgeübt hatten. Wir erwähnen hier nur einige wenige Errungenschaften, wie die Abhandlung des Bischofs Nemesios  (Νεμέσιος) von Emesa (5. Jh.) mit dem Titel «Περί της φύσεως του ανθρώπου» (“Über die Natur des Menschen”), welche die christliche Anthropologie des gesamten Mittelalters entscheidend beeinflusst hatte. Der Text wurde im 11. Jh. in Palermo ins Lateinische übersetzt. Wir erwähnen auch den Heiligen Vater Ioannes Damaskinos (Ιωάννης Δαμασκηνός, 7./8. Jh.), der ein bedeutungsvolles Buch über Philosophie und Theologie mit dem Titel «Η Πηγή της γνώσεως» (“Die Quelle der Erkenntnis”) verfasste. Darin geht es um interessante Themen wie « Τέχνη των καλών τεχνών» (“Kunst der schönen Künste”) und « Αγάπη στη σοφία» (“Die Liebe zur Weisheit”) als eine besondere Art des Denkens und der Manifestation der allgemeinen Bildung sowie als eine Lebensweise. Dieses Konzept ist in der Tat sehr zeitgemäß.

7. Wissenschaft und  Bildung

Im Allgemeinen gehörte die Wissenschaft mit einigen Einschränkungen zu den anerkannten Werten. Bereits im 9. Jh. kam es zu einem Aufschwung von Bildung und Wissenschaft. Es ist kaum zu glauben, aber Byzanz übernahm das gesamte altgriechische System der Schulbildung. Die Grundlage der Bildung waren in der Regel in erster Linie die homerischen Epen und die Bibel. Der Schwerpunkt des Unterrichts lag auf grammatikalischer Analyse, Syntax und rhetorischen Ausdrücken. Die höhere Bildung umfasste Rhetorik in Altgriechisch, Philosophie (Kenntnis und Interpretation der Werke von Platon und Aristoteles), Arithmetik, Astronomie und Musiktheorie. Die Byzantiner lasen mit besonderer Aufmerksamkeit und Freude die historischen Werke von Thukydides (Θουκυδίδης) und Polybios (Πολύβιος).

Obwohl die byzantinische Gesellschaft die Wissenschaft schätzte, gab es Kleriker, die sie als gefährlich ablehnten. Mit anderen Worten, es herrschte eine paranoide Situation, sodass man zwischen “echtem Wissen”, das natürlich ein Geschenk Gottes sei und für dessen Erwerb man sich nicht anstrengen muss, und dem sehr abschätzigen -”Pseudowissen” der alten Griechen unterschied. Kurz gesagt, Wissen wurde als etwas Wertvolles angesehen, vor allem wenn es dem Menschen half, Gott und die Ewigkeit besser kennenzulernen.

Es gibt aber auch eine wissenschaftliche Errungenschaft von Byzanz von globaler, vielleicht sogar weltgeschichtlicher Bedeutung, das Corpus Juris Civilis  Iustinianis  aus dem 6. Jh. Dieses Gesetzbuch ist wichtiger als der Codex Hammurapi (vor 3.700 Jahren) oder der Codex Eshnuna (vor 4.284 Jahren),  denn es ist das Zivilrecht fast der ganzen Welt. Seine Terminologie ist im Völkerrecht in der Tat international. Die byzantinischen Rechtsgelehrten haben es oft an neue gesellschaftliche Bedingungen angepasst. Im 11. Jh. hatte es bereits Italien erreicht (Pavia und Bologna) und war die Grundlage für die Ausbildung von Juristen. In Deutschland war der Kodex Juris Civilis die Grundlage für die Juristenausbildung an den Universitäten und viele seiner Regeln waren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft!

8. Das antike griechische Erbe

Obwohl sich die Bewohner des multiethnischen Byzanz Römer (Romaioi, Ρωμαίοι) nannten, was sich nur auf den Staat bezog, dessen Untertanen sie waren, war das Reich eine besondere Organisation, die auf der griechischen Kultur beruhte. Was die Bildung anbelangt, so “waren sie zweifellos die direkten Erben der alten Hellenen, deren Bildungserbe, in den christlichen Blickwinkel einbezogen, fast ohne Schwäche weiterlebte”. Ferner Wissenschaft, bildende Künste und Philosophie blieben “das kostbare Gut des christlichen Byzanz” (Große Enzyklopädie, 3, S.12). Auch auf sprachlichem Gebiet war Byzanz ein würdiger Erbe der Alten Griechen. Es war gerade die altgriechische Sprache, die innerhalb von etwa 300 Jahren das Lateinische als Reichssprache Sprache buchstäblich besiegt und eliminiert hat. Etwas Ähnliches ist im Mittelalter mit den militärisch mächtigen, aber kulturell völlig rückständigen Mongolen in China und Nordindien geschehen. Wir wiederholen: Byzanz rettete die altgriechische Sprache und hielt sie bis zum Fall Konstantinopels und darüber hinaus am Leben, und zwar durch die orthodoxe Kirche, der das gesamte Griechentum für diese geistige Leistung ewig dankbar sein sollte.

9. Probleme, Mangel an Kreativität

Es gab aber auch große Probleme bei der Bewertung des antiken griechischen Erbes. Nach der Proklamation des Christentums zur Reichsreligion, d.h. als politisches Werkzeug des Staates (ein bekanntes Phänomen in allen Religionen), begann die Ära der metaphysischen Spekulationen, der Mystik und der theologischen Konstruktionen in der unvorstellbaren Abstraktion komplexer und unverständlicher himmlischer Themen ( Heilige Dreifaltigkeit: 1+1+1=1 usw.). Die grundlegende Weltbild des Byzanz in seinem gesamten Verlauf und in Kontinuität in enger Verbindung mit der östlichen Orthodoxie liegt in der Tatsache, dass der menschliche Fortschritt durch die göttliche Offenbarung vollendet und abgeschlossen worden wäre. Dabei handelt es sich jedoch um eine starre, nicht-dynamische und vor allem nicht-kreative Auffassung von Zivilisation und Fortschritt. Die Annäherung an die Werke der Alten Griechen erfolgte meist mit größtem Respekt, aber in einer hochgradig philologischen, d.h. sterilen Weise, die ihre Vollendung in der Beschäftigung mit Grammatik, Syntax und vor allem mit der ständigen und ewigen Wiederholung findet. Das kritische Denken war unterentwickelt. Hierin liegt meiner bescheidenen Meinung nach der eigentliche Grund der Sucht im Bildungssystem Griechenlands nach Auswendiglernen und Nachplappern. Hierin  liegen auch die Ursachen für den Mangel an Kreativität.

10. Byzanz als kultureller Erbe der antiken griechischen Zivilisation

Obwohl dieser Punkt offensichtlich sein dürfte, werden wir versuchen, dies nachzuweisen, um auch die Zögerlichsten zu überzeugen. Byzanz hat die antike griechische Kultur vor allem in den entscheidenden Bereichen der Philosophie, der Bildung und der Literatur geerbt. Der Tradition ging jahrhundertelang der philosophische Ausgangspunkt des Neuplatonismus voraus, der die Auffassung vertrat, dass das Leben sinnvoll und nützlich sei. Nach dieser Auffassung entspricht die Welt der Weisheit Gottes, sodass jeder Versuch, die göttliche Ordnung zu verändern, blasphemisch und unnatürlich sei. So hat die christliche Weltanschauung die Tradition in ihren wirtschaftlichen und politischen Erscheinungsformen gerechtfertigt und verteidigt. Die Unveränderlichkeit der Werte war in ihrem Wesen die ideale Garantie für das sozio- politische System. Sie gingen sogar so weit, die Tradition als Ausdruck des göttlichen Willens zu betrachten. Gleichzeitig wurde die selbstverständliche menschliche Erfahrung abgelehnt, und man war nur an einer oberflächlichen Annäherung an die Phänomene des wirklichen Lebens interessiert. Nach der offiziellen Auffassung hatte die Tradition ihren Ursprung im “Wesen” der Dinge (göttlich), während die menschliche Erfahrung sich nur mit ihrer äußeren Form befasste. Hierin liegt der Schwerpunkt der Gründe für die ablehnende Haltung gegenüber Reformen in allen Ländern mit orthodoxer Tradition. Die Tradition hat sich durch vertraute Funktionen und zahlreiche Symbole gefestigt, die durch ihre Wiederholung letztlich eine wichtigere Rolle als die Handlungen selbst erlangt haben. Im gegenwärtigen politischen Leben Griechenlands ist etwas Ähnliches zu beobachten.

11. Byzanz als Vermittler zwischen der Antike und dem Westen

Wir haben bereits die wichtigsten Beispiele genannt, die belegen, dass Byzanz die Rolle des Vermittlers zwischen der antiken griechischen Zivilisation und der europäischen Renaissance mit großem Erfolg zu spielen vermochte. Das bereits erwähnte Standardwerk der deutschen Enzyklopädie schreibt aufschlussreich: “Ohne die höheren Schulen in Byzanz, ohne die berühmten Bibliotheken und ohne eine relativ große Schicht gebildeter Nichtkleriker wären Dokumente der griechischen Klassik, wie die Werke von Homer, Hesiod, Platon und Herodot, nicht überliefert worden” (Band 3, S. 685).

Konkret handelt es sich um die zahlreichen Schriften, die unmittelbar nach dem Fall Konstantinopels von byzantinischen Gelehrten nach Norditalien gebracht wurden, welche die europäischen Intellektuellen im Original lesen konnten, nachdem die byzantinischen Wissenschaftler ihnen die altgriechische Sprache beigebracht haben.   Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass der  Philosoph, Humanist, Theologe und Gelehrte, Wissarion (Βησσαρίων), dem die vorliegende Schrift gewidmet ist,  einer der ersten Kulturbringer und Lehrer des Westens noch vor dem Fall Konstantinopels war. So gründete er unter anderem die erste Akademie in Rom, an der Mathematik, Astronomie und klassische Literatur gelehrt wurden. In Venedig gründete er die damals größte Bibliothek Europas zum geistigen Erbe der alten Griechen.  Wissarion  trug wesentlich zu den intellektuellen Grundlagen der Renaissance und der humanistischen Bewegung bei. Seine Abgesandten reisten in das nunmehr osmanisch beherrschte Byzanz, um antike Schriften zu sammeln. Geflüchtete Gelehrte aus Konstantinopel fanden in seinem Kardinalspalast  Unterkunft und Übersetzerarbeit. Ein anderer Gelehrter, Γεώργιος Τραπεζούντιος (Georg der  Trapezuntier), der auf Kreta als Sohn trapezuntischer Eltern geboren wurde, erhielt eine Professur an der Universität von Venedig (siehe  Χ. Σαμουηλίδης, Ιστορία του Ποντιακού Πολιτισμού,  Αθήναι, S. 80-82).  Er gilt nach wie vor für die Wissenschaftler pontischer Abstammung als Vorbild und nachahmenswertes Beispiel.

Aber im Allgemeinen waren viele Werke der antiken Philosophen bereits im Westen und aus einer anderen Quelle bekannt: in Latein und Arabisch. Es ist bekannt, dass zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert eine besondere Form der Renaissance des antiken Geistes in den islamischen Ländern stattfand, und zwar auf der Grundlage zahlreicher Übersetzungen aus dem Altgriechischen ins Arabische in Damaskus und vor allem in Bagdad. Etwas später wurden in Spanien viele Schriften der antiken Philosophen aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt. So studierten westliche Philosophen schon Jahrhunderte vor dem Fall Konstantinopels zunächst einige Schriften auf Latein, dann im arabisch besetzten Spanien (Toledo und Gordoba) griechische Weisheiten auf Arabisch, dann auf Latein, und dann in Paris und Norditalien allgemein auf Latein

Doch als sie sie auf Altgriechisch studieren konnten, bedeutete dies einen gewaltigen sprachlichen und qualitativen Sprung in der systematischen Auswertung des antiken Wissens, den die Humanisten mit einem solchen Erfolg fortgesetzt haben, dass sie fast vergessen haben, woher das Licht des antiken Geistes kam,d.h. aus dem Byzanz oder aus Spanien der Omajaden.

Leider geschah auch etwas Unangenehmes und für das Griechentum   verheerendes: Westliche Wissenschaftler haben schon seit der Renaissance und der Aufklärung den antiken griechischen Geist erfolgreich ausgewertet, haben ihn vollständig kennengelernt, haben ihn auf ihre Weise interpretiert und auf dieser Grundlage ganze philosophische Denkgebäude errichtet (vor allem die deutschen Giganten der Philosophie I. Kant und Hegel ), während die Griechen von dieser Entwicklung durch die jahrhundertealte osmanische Herrschaft so abgekoppelt waren, dass die Philosophen und Wissenschaftler des Abendlandes inzwischen als die wahren Erben des antiken griechischen Geistes gelten.  Überdies ist es den Europäern  gelungen, entscheidende Elemente des antiken griechischen Geistes anzuwenden.

Literatur

-Der Brockhaus, Geschichte, II, Mittelalterliche Welt und frühe Neuzeit, Leipzig, Mannheim, Augsburg 2001, S.97.

-Der Brockhaus, Kunst und Literatur, 3, Mittelalter, Orient und Okzident, Leipzig, Mannheim 1997, S.630, 666-669, 685.

-Propyläen-Weltgeschichte, Berlin 1929-1933.

-Große Enzyklopädie, 3, Köln 1990, S.1250-1252.

-Grand Larousse Encyclopedique, Paris 1960-64.

-Encyclopedia Britannica, London 1921-1922.

-Σύγχρονος Εγκυκλοπαίδεια Ελευθερουδάκη, Αθήνα 1962.

-Νεώτερο Εγκυκλοπαιδικό Λεξικό Ηλίου, Αθήναι 1948.

-Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, Berlin 1989.

-F. Thiess, Die Griechischen Kaiser, Die Geburt Europas, Augsburg 1992.

-A.P. Kashdan, BYZANZ und seine Kultur (Übers. Aus dem Russischen ), Berlin 1968, S.81, 86/87, 117/118,124-126, 128/129, 167, 169-172, 177.

- G. Ostrowsky, Die Geschichte des byzantinischen Staates, München 1963.

-M. Grünbart, Das Byzantinische Reich (Geschichte kompakt). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2014.

-S. Runcinam, Byzanz, Von der Gründung bis zum Fall Konstantinopels (Übers. Aus dem Englischen), München 1983

-S. Runcinam, Byzantine Civilization, London 1933.

-Τ. Warren, A History of the Byzantine State and Society, Stanford 1997.

-T. E. Gregory, A History of Byzantium , Oxford et alt. 2005.

- M. Angold, The Byzantine Empire, 1025–120: A Political History, London 1997.

-A. Cameron, The Byzantines, Oxford 2006.

-R. Guerdan, Byzance, Librairie Académique, Paris 1973.

-P. Lemerle, Le monde de Byzance, Paris 1978.

– E. CABRERA, Historia de Bizancio, Editorial Ariel, 1998.

–F. Cognasso, Bisanzio, Storia di una civiltà, dall’Oglio, Milano 1976.

–P. Cesaretti, L’Impero perduto, Una sovrana tra Oriente e Occidente, Milano 2006.

-G. Ravegnani, Introduzione alla storia bizantina, Bologna 2006.

P.S. Der Autor hat Wurzeln in Pontos und speziell in Trapezunt, daher betrachtet diese Studie-Hommage als eine moralische Verpflichtung und große Ehre.

veröffentlicht oft in der griechischen Presse vor allem in Καθημερινή (Kathimerini) und in efimerida  von 2014 bis 2018 in Auseinandersetzung mit griechischen Nationalisten.

aus meinem Buch Panos Terz, Παναγιώτης Δημητρίου Τερζόπουλος: Εγκυκλοπαιδική και Κοινωνική Μόρφωση, Εκλαϊκευμένα: Θρησκεία, Ιστορία, Εθνολογία, Πολιτισμός, Γλωσσολoγία, Δεύτερος Τόμος (Enzyklopädische und Allgemeinbildung: Religion, Geschichte, Ethnologie, Kultur, Linguistik, Zweiter Band), ISBN: 978-620-0-61339-4, Saarbrücken 2020, S. 88-99.

 

 

 

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