“Klientelstaat”, “Parteienklientelismus des Staates” oder “Klientelismus”?

“Klientelstaat”, “Parteienklientelismus des Staates” oder “Klientelismus”?
Es handelt sich um eine sprachwissenschaftliche, soziologische und ethnologische Untersuchung eines Aspekts des unterentwickelten griechischen Parteiensystems balkan-orientalischen Typs.
Es ist allgemein bekannt, dass nach der bürgerlichen Revolution in Frankreich im Jahr 1789, der Durchsetzung des bürgerlichen Staates, der rasanten Entwicklung der Wissenschaft und der Etablierung moderner Konzepte und Begriffe, die auf altgriechischen und lateinischen Wörtern basierend, alle Völker Europas damit begannen, diese direkt in der französischen Sprache zu verwenden oder in ihre jeweiligen Landessprachen zu übersetzen. Unter anderem wurden zahlreiche Begriffe, die auf -ismus enden (z. B. Patriotismus, Nationalismus usw.), international bekannt. Nach dem Ersten Weltkrieg geschah etwas Ähnliches mit dem Englischen, aber beide Sprachen basieren auf Altgriechisch und Latein. Wir müssen also ad fontes (zu den Wurzeln) gehen, um besser zu verstehen, worum es hier geht, denn die Gefahr einer Begriffsverwirrung ist in der Tat groß, wie sich in zahlreichen Kommentaren seit Jahren 2012 gezeigt hat. Im Altgriechischen leitet sich das Wort Klient in der Übersetzung von dem Verb πελάζω ab, was so viel bedeutet wie “sich nähern” (siehe Langescheidts Taschenwörterbuch, Altgriechisch, Berlin et alt. 1990, S.340 ) oder eine Person ist von einer anderen Person abhängig (siehe Benselers Griechisch-Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1981, S. 613 ). Diese Deutung ist sicherlich von Platon entlehnt worden: «ο αντι τροφών υπηρετών και προσπελάζων, από του πέλας ήτοι εγγύς  εκαλείτο ο δι ένδειαν  προσιών  μίσθιος δε υπηρετών « (siehe Γ. Μπαμπινιώτη, Ετυμολογικό Λεξικό της Νέας Ελληνικής Γλώσσας,  Αθήνα 2010, σ. 1073). Das Lexikon der neugriechischen Sprache Proίας (Λεξικόν της Νέας Ελληνικής Γλώσσης, Πρωίας (Αθήναι, ohne Jahr, zweiter Band, S. 1893) interpretiert das Wort Kunde wie folgt: “der sich Nähernde und besonders um Schutz bittende, der Beschützte, der Untergebene”. Die lateinische Sprache hat sich jedoch ursprünglich eher mit dem Wort cliens (Gen. clientis) durchgesetzt, das in diesem Fall weiter gefasst ist und folgende Interpretationen zulässt: geschützt, untergeordnet, der patronus hatte die Pflicht, den clienten zu schützen, während letzterer dem patron gegenüber Verpflichtungen hatte und zwischen ihnen ein gewisses Verhältnis der Gegenseitigkeit (clientula) bestand, (siehe K.E. Georges, Kleines Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, Leipzig 1890, S.434. Dieses “kleine” Wörterbuch hat 2700 dichte Seiten ! Ich habe einige Wörterbücher der neulateinischen Sprachen (Italienisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch) und eines der englischen Sprache verglichen und festgestellt, dass nur ein Wörterbuch der spanisch-lateinamerikanischen Sprache das Wort cliente im Sinne des Geschützten erwähnt. Letztendlich ist es mir ist es mir gelungen, einige soziologische und ethnologische Artikel über das Phänomen des Klientelismus zu finden, aber die Beispiele betreffen kein europäisches Land, sondern hauptsächlich afrikanische und lateinamerikanische Länder ! Abgesehen davon, konnte festgestellt werden, dass vor allem amerikanische und englische Soziologen und Ethnologen das interessante Phänomen des Klientelismus erforscht haben. Einige Interpretationsversuche von Spaniern, Italienern und Brasilianern sind ebenfalls zu verzeichnen. Es gibt auch einen kleinen griechischen Versuch, der das griechische Problem des “Klientelstaates” berührt. Wir stellen fest, dass der politische und journalistische Begriff des “Klientelismus” eine Übersetzung ins Griechische ist (Πελατειακό Κράτος)riechische
Das Problem ist jedoch komplexer, weil auch das Phänomen der “Parteiklientel” oder, richtiger gesagt, der “Klientelpartei” zu beachten ist. Gerade, als ich dies schreibe, fällt mir ein, dass der Ausdruck “Klientelpartei” in Europa häufig verwendet wird und leider nur auf politische Parteien in Griechenland zutrifft! Das bedeutet, dass diese Parteien, mit Ausnahme der Kommunistischen Partei, weder ein wirkliches politisches Programm, noch richtige Mechanismen haben und von wichtigen politischen Persönlichkeiten abhängig sind, die sich in der Partei durchsetzen und sie in einigen wohlbekannten Fällen sie zu einer Familienangelegenheit machen (Papandreou, Karamanlis, Mitsotakis). In diesem Fall gibt es eine enge Beziehung zwischen dem Klientelismus und Familienherrschaft (οικογενειοκρατία), Vetternwirtschaft.
Es empfiehlt sich, einigen Definitionen Aufmerksamkeit zu schenken: «Clientelism is definide as transactions  between politicians and citizens where be material favors are offered in return for political  support at the polls“ (L. Wantschekon, Clientelism and voting behavior Evidence from a Field Experiment in Benin, in : World Politics, 55/2003, p. 400. Hier geht es um ein Beispiel aus Afrika. Sehr interessant ist die Definition in einem lateinamerikanischen Artikel: Clientelismo: “relaciones interpersonales en el sistema politico ha incluido con frecuencias”. Hier werden zwei Aspekte des Phänomens hervorgehoben: Das Verhältnis und die Wiederholung. Das brasilianische Wörterbuch erwähnt weitere Aspekte: “sub-sistema de relacao politica- em general ligado ao coronelismo”: Es handelt sich um ein politisches Subsystem, das im 19. Jahrhundert tatsächlich vorherrschte und Reste des Feudalismus enthielt! Ein italienisches Wörterbuch betont nachdrücklich das gegenseitige Interesse, den gegenseitigen Nutzen und den Austausch als charakteristische Elemente des Klientelismus: “La practica del clientelismo tende a garantire il reciproco interesse o il mutuo vantaggio tra chi fornisse i beneficinisse e chi ne ottiene il controcambio”. Die Definition des Begriffs “Klientelismus” in einem deutschsprachigen Fachwörterbuch ist vollkommener und erwähnt auch Gruppen, d.h. nicht nur Einzelpersonen, und betont die ungleiche Macht zwischen ihnen und damit die Abhängigkeit des Schwachen vom Starken. Auch hier wird auf die Reziprozität der hergestellten Beziehung hingewiesen: “Beziehung zwischen Gruppen oder Personen mit ungleichen Machtpositionen, wobei die eine Seite (Patron) der anderen (Klientel) Unterstützung anbietet, wenn diese ihre Loyalität zusichert” (C. Lenz und N. Ruchlak, Kleines Politisches Lexikon, München, Wien, Oldenbourg 2001, S.111).
Die Reziprozität kann fortgesetzt werden, weil der Bürger auf der einen Seite andere Kinder, Neffen, Schwiegersöhne usw. hat, die ebenfalls versorgt werden müssen, meist auf Kosten des Ganzen. Auf diese Weise breitet sich der Klientelismus wie ein Krebsgeschwür in der gesamten Gesellschaft aus. Auf der anderen Seite hat der Politiker endlich die Möglichkeit, wohlhabender zu leben. Selbstverständlich möchte er weiter in paradiesischen Verhältnissen leben (z.B. ein Politiker von Kreta war 50 Jahre lang Mitglied des griechischen Parlaments).
Der Klientelismus ist verbreitet bei den Konservativen sowie bei den “Sozialisten” und gehört damit zu den Grundzügen der Mentalität der Neugriechen. Ähnlich sieht es auch in den anderen Balkan-Ländern aus, denn auch bei ihnen sind die Demokratie-Defizite gewaltig.
Zusammenfassung
1. Der journalistische und politische Ausdruck “Klientelismus” ist eine unzutreffende und oberflächliche Übersetzung des europäischen Standardbegriffs (terminus scientificus) der Soziologie, Politikwissenschaft und Ethnologie Clientelismus.
2. Es handelt sich um eine Beziehung zwischen Individuen oder in seltenen Fällen zwischen einem Individuum und einer Gruppe.
3. Die Individuen haben eine relativ ungleiche Stellung in der Gesellschaft und im Staat (Beschützer-Beschützter).
4. Der Bürger als Machtloser ergreift in der Regel die Initiative und wendet sich an einen Politiker um Hilfe bietend.
5. Der Politiker verspricht, dem Bürger zu helfen (z.B. Ernennung, wohlgemerkt, nicht für das nicht existierende Unternehmen des Politikers, sondern für de öffentlichen Dienst). So entsteht für die Familie des Bürgers ein großer Nutzen durch die Unterbringung eines Familienmitgliedes, aber hierdurch entsteht eine große Ungerechtigkeit für fähigere Personen, die leer ausgehen.
6. Der Bürger löst sein Versprechen ein, indem er den Politiker wählt, der Abgeordneter, vielleicht eines Tages Minister wird, kurzum, er kann für eine lange Zeit finanziell abgesichert sein.
7. Zwischen dem Bürger und dem Politiker (nicht dem Beamten) steht der Staat als Instrument des Staates und als dominierende Grundlage des Clientelismus im Mittelpunkt. Wir haben es also nicht mit dem “Klientelstaat” zu tun, sondern mit der “Klientelpartei” und somit mit der “Parteiklientelisierung des Staates”, der modernen griechischen Version des Clientelismus.
8. Aber es herrscht, wie so oft, ein begriffliches Chaos. Deshalb schlagen wir hier vor, den terminus scientificus generalis Klientelismus zu verwenden und nicht die Ausdrücke “Klientelstaat” oder “Parteiklientelisierung des Staates”.
9. Der Klientelismus ist normalerweise ein Phänomen der Dritten Welt, ebenso wie die Familienherrschaft. Und doch finden wir in Griechenland beide Überreste des Feudalismus.
10. Das Phänomen des Klientelismus ist ein Anzeichen dafür, dass die Produktivkräfte so unterentwickelt sind, dass es nicht für alle ausreichende Arbeit gibt. Das heißt, es ist kein Zufall, dass der Klientelismus in den Ländern der Dritten Welt und in Griechenland weitverbreitet ist.
11. Der Klientelismus begleitet die griechische Gesellschaft als Symbiose seit der Konsolidierung des modernen griechischen Staates und gehört aus ethnologischer Sicht ganz selbstverständlich zu den seit Langem bestehenden nationalen Krankheiten. 12. Der Klientelismus setzt sich in Europa, insbesondere in Griechenland, durch, weil man hier eine Staatsbildung ohne die conditio sine qua non eines Staates vorfindet, d.h. da Staatsbewusstsein der Bürger, das als Begriff in keinem modernen griechischen Wörterbuch zu finden ist. Der Durchschnittsgrieche betrachtet den Staat eher als seinen Feind. Das Schlimme besteht darin, dass auch der Begriff Rechtsbewusstsein der Bürger unbekannt ist. Stattdessen ist das Wort Rechtsgefühl üblich und sehr beliebt, das jeder nach Belieben und nach seinem Interesse interpretieren kann.
Veröffentlicht von 2014 bis 2017 oft in den wichtigsten griechischen Zeitungen Καθημερινή (Kathimerini), Το Βήμα (To Vima) und τα Νέα (Ta Nea) in Auseinandersetzung mit einigen Politikern der wichtigsten griechischen Parteien und mit griechischen Nationalisten
aus meinem Buch Παναγιώτης Δημητρίου Τερζόπουλος (Panos Terz), Εγκυκλοπαιδική και Κοινωνική Μόρφωση, Εκλαϊκευμένα: Φιλοσοφία, Διεθνές Δίκαιο, Διεθνείς Σχέσεις, Πολιτολογία, Πρώτος Τόμος (Enzyklopädische und Allgemeinbildung, populärwissenschaftlich: Philosophie, Völkerrecht, Internationale Beziehungen, Politik, Erster Band), ISBN: 978-620-0-61337-0, Saarbrücken 2020, 289 Seiten, S.213

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