Familienenherrschaft, Vetternwirtschaft a la grec

Familienenherrschaft,  Vetternwirtschaft a la grec

Nachdem ich  2012 auf die  Familienherrschaft bzw. die Vetternwirtschaft in Griechenland aufmerksam wurde, begann ich, mich systematischer mit diesem Thema zu beschäftigen. Die bloße Existenz der Familienenherrschaft würde ausreichen, um zu dem Schluss zu kommen, dass Griechenland kulturell nicht zu Europa, sondern eher zum Nahen Osten gehört.

Es gibt Grund, dieses mittelalterliche, orientalische und sehr problematische Phänomen genauer zu untersuchen. Zunächst stellt sich die theoretische Frage, was die Familienenherrschaft oder, allgemeiner ausgedrückt, die Vetternwirtschaft a la grec ist. Man muss von der Prämisse ausgehen, dass der Grieche ein Familienmensch ist. Ferner ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Familie in Griechenland über den üblichen engen Familienrahmen hinaus geht. Hinsichtlich der Sippe kann sie mitunter auch die Cousins und Cousinen vierten Grades erfassen.

Im Allgemeinen gibt es in Griechenland zwei Kategorien der Familienenherrschaft. Die erste betrifft die Parteiführung und dann das Amt des Ministerpräsidenten und hat den Charakter eines relativ langen Prozesses: Der erste Schritt ist die Gründung einer Partei, die eng mit der Person des Gründers verbunden ist. Der Parteigründer hat eigentlich nur ein Ziel: das Amt des Ministerpräsidenten.

Eine der ersten Aufgaben des nepotistisch gesinnten Politikers ist es, seinen Sohn oder seine Tochter nach Erreichen seines Ziels zum stellvertretenden Minister und nach kurzer Zeit zum Minister zu machen, der in der Regel das Ministerium wechselt, um Erfahrung zu sammeln, d.h. sein Vater bereitet ihn systematisch auf das künftige Amt des Ministerpräsidenten vor.

 In der Tat ist das insbesondere in der „sozialistischen“ balkan-orientalischen PASOK, ein dynastisches Erbe, denn die offizielle Politik eines Staates wird allmählich zu einer Familienangelegenheit gemacht.  In Griechenland wird das schändliche und zutiefst undemokratische Spiel nicht in der zweiten Generation unterbrochen, sondern schamlos und automatisch in der dritten Generation fortgesetzt!  Dies ist der Fall bei der Familie Papandreou.  Das Schlimme ist, dass Heerscharen von Politikern und außerdem schleimige und widerliche “Kumpane” sowie monströse “Vielfraßnager” vom Parteivorsitzenden abhängen.

 Die Dynastie Karamanlis aus dem griechischen Makedonien ist von dem relativ erfolgreichen Politiker und Staatsmann Konstantinos Karamalis, Gründers der konservativen Nea Dimokratia, ehemaliger Ministerpräsident und Staatspräsident gegründet worden. Nach einem kleinen Intermezzo folgte in der zweiten Generation der Nepus und nicht gerade hochintelligente Kostas Karamanlis als Ministerpräsident. In der gegenwärtigen konservativen Regierung wird das Amt des Verkehrsministers von einem Vertreter der dritten Generation von dem Nepus wieder einem Konstantinos Karamanlis, der weder Lust, noch die Fähigkeit dafür besaß, ausgeübt.  Und das geschah ganz spontan, weil sich die zahlreichen “Kumpane” und auch hier die gefräßigen “Polit-Nager” an die Privilegien gewöhnt haben.

 Der ansonsten erfolgreiche Politiker, neuer Chef der Nea Dimokratia und spätere Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis aus Kreta hat die Familienherrschaft systematischer vorbereitet. E hat seine Tochter Dora in sein Kabinett als Ministerin aufgenommen, die wahrhaftig auch durch ihre Polyglottie ihr Amt erfolgreich ausgeübt hat. Sein eigentliches Ziel war, sie in der Perspektive zu Ministerpräsidentin zu machen. Die politische Dynastie der Mitsotakis wies eine systematischere Vorbereitung und Beförderung ihrer Mitglieder in höhere Ämter auf. Sie hatte lange den seltenen Vorteil, dass das Oberhaupt der “Sippe” noch lebte, der bewusst und geschickt in das politische Geschehen mit klugen Äußerungen eingriff, natürlich indirekt immer im Interesse seiner Dynastie. Ich verfolgte seine Methode und Strategie seit Jahren und habe folgende Taktiken beobachtet: Zuerst äußert sich das Oberhaupt zu einem politischen Problem und dann folgen Äußerungen seiner Tochter, seines Sohnes und gelegentlich auch seines Enkelsohnes, der inzwischen sich ebenfalls zum Politiker entwickelt hat! In manchen Fällen wurde versucht, den Eindruck zu erwecken, als gäbe es zwischen ihnen politische Meinungsdifferenzen.  Der Durchschnittsgrieche war selbstverständlich nicht imstande, dieses Polit- Schauspiel zu durchschauen.

Mit großer Verspätung ist die linke Variante des griechischen Nepotismus erschienen.  Es handelt sich hauptsächlich um Vertreter des Kleinbürgertums, interessanterweise linker oder besser pseudolinker Färbung, die relativ lange zumindest rhetorisch die Rolle der linken Revolutionäre und des Gralshüters der politischen Moral und Ethik spielten.  In der von der ultralinken Partei SYRIZA, deren Führungskräfte bis zum Zusammenbruch des “Realen Sozialismus” Mitglied der Kommunistischen Partei Griechenlands waren, haben eine linke Regierung gebildet. Dabei konnte das interessante Phänomen registriert werden, dass in einigen Ministerien der Ehemann Minister wurde, und die Ehefrau den Posten des stellvertretenden Ministers übernahm. Mitunter war der Generalsekretär eines Ministeriums Sohn oder Schwiegersohn oder Neffe des Ministers oder eines anderen Ministers. Fast sämtliche Positionen wurden mit Verwandten, Bekannten oder mit Parteifreunden besetzt. Das war sozusagen eine Art linker Solidarität. Somit waren alle nach Balkan-orientalischem Brauch waren bestrebt, an die staatlichen Futterstellen zu gelangen. Ob Konservative oder Linke, alle betrachten in Griechenland den Staat als Beute. Wer für paar Jahre an der Quelle sitzt, versucht, sich so viel wie möglich zu bereichern.

 Es gibt auch eine andere Form der modernen griechischen Vetternwirtschaft, die vor allem die Abgeordneten-Position betrifft, die sich in einen Familienbesitz verwandelt wird. In einigen Fällen waren drei Mitglieder der gleichen Familie in der gleichen konservativen Partei (Vater 50 Jahre im Parlament!), Sohn und Tochter aus Kreta) oder normalerweise waren Vater und Sohn oder Cousins zur gleichen Zeit Mitglieder des Parlaments. Offenkundig lohnt es sich in Griechenland, Parlamentsabgeordneter zu sein. Dabei geht es primär nicht um die übliche Abgeordneten-Abfindung, die in der Regel höher ist als in den wohlhabenden Ländern der EU, sondern um Bestechungen der Abgeordneten, was in Griechenland eben dazu gehört.

Wenn man die vergleichende Methode anwendet, stellt man fest, dass die Familienherrschaft in anderen europäischen Ländern nicht bekannt ist, d.h. er ist eine rein griechische “Besonderheit”, aber in den USA kommt sie gelegentlich auch vor (Kennedy, Busch). Es stellt sich die berechtigte Frage, warum es dieses beschämende Phänomen in Griechenland gibt, für das sich alle Griechen schämen sollten. Der wichtigste Grund besteht darin, dass das Individuum mit dem Gesellschaftsbewusstsein und der bewusste Bürger mit dem Staatsbewusstsein fehlen, denn Griechenland hat weder die Renaissance noch die europäische Aufklärung, noch die bürgerliche Revolution. Dies gilt übrigens für alle Balkan-Länder.

Aber schon im Mittelalter, genauer im 12. Jahrhundert, formulierte der große Theologe und Philosoph Thomas von Aquin das Bild des Individuums, das sich nach und nach durchgesetzt hat, während die Theologen und Philosophen des Oströmischen Reiches (Byzanz) leider vergeblich versuchten, ein ähnliches Konzept zu schaffen. So haben sich in Europa und im späten orthodoxen Osten zwei völlig unterschiedliche Menschenbilder herausgebildet.

Die bestimmenden Merkmale des Individuums sind im Großen und Ganzen die folgenden: Würde, Selbstachtung, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Autonomie des Willens und Entscheidungsfreiheit in allen entscheidenden Lebensbereichen. Im Idealfall setzt sich eine Gesellschaft aus solchen Individuen zusammen, aber noch nicht die griechische Gesellschaft. Fehlen die genannten Eigenschaften, dann ist der Einzelne nur einer unter anderen, welche die Masse bilden (Στέλιος Ράμφος, Ο Καημός του ενός, Κεφάλαια της ψυχικής ιστορίας των ελλήνων, Aθήνα 2002; “Die Wehmut des Einzelnen, Kapitel der psychischen Geschichte der Griechen”) und er ist das ideale Opfer der Populisten von Links und Rechts.  Seine Familie oder seine Sippe haben Vorrang gegenüber der Gesellschaft und dem Staat.  Aber aus dieser besonderen Beziehung in rückständigen Gesellschaften ergeben sich für viele Vorteile, wie die Familienherrschaft im politischen Leben Griechenlands. Jeder Politiker fühlt sich verpflichtet, Mitglieder seiner Sippe in der Verwaltung sogar, wenn möglich, in Ministerien unterzubringen.  Herkunft, Sippe und Name sind die entscheidenden Bedingungen für eine politische Karriere, nicht unbedingt die tatsächlichen Fähigkeiten.

 Weil das Individuum in Griechenland kaum existiert, fehlt automatisch die conditio sine qua non für die Existenz eines Bürgers, der sich in entwickelten Ländern durch folgende Merkmale auszeichnet: Staatsbewusstsein, Anerkennung des Wechselverhältnisses von Rechten und Pflichten, Rechtsbewusstsein, Steuerbewusstsein, Umweltbewusstsein,  Anerkennung des Vorrangs der Interessen des Ganzen (“κοινόν καλόν”:”koinon kalon” des Aristoteles) vor den Interessen des Einzelnen usw. Daraus lässt sich schließen, dass in Griechenland das Individuum mit dem Gesellschaftsbewusstsein (@und der Bürger mit einem Staatsbewusstsein fehlen.  Sicherlich gibt es auch einige Ausnahmen, sonst würde das gesamte Staatswesen zusammenbrechen.  Das ist der Hauptgrund dafür, dass es einigen Politiker-Familien gelingt, das Volk zu täuschen und sich beruflich auf sehr lukrative Weise in der Politik zu engagieren.

Fazit: Es handelt sich um eine Kaste von Berufspolitikern, die den drei politischen Dynastien angehören, sich gegenseitig und regelmäßig ablösen und es schaffen, das griechische Volk, das leider immer noch größtenteils politisch unzureichend gebildet und passiv ist, in jeder Hinsicht zu verhöhnen und auszubeuten.

 Veröffentlicht von 2013 bis 2018 oft in den wichtigsten griechischen Zeitungen   Καθημερινή (Kathimerini), Το Βήμα (To Vima), Τα Νέα (Ta Nea), iefimerida, Το πρώτο θέμα (To Proto Thema)

Aus meinem Buch  Παναγιώτης Δημητρίου Τερζόπουλος (Panos Terz), Εγκυκλοπαιδική και Κοινωνική Μόρφωση, Εκλαϊκευμένα: Φιλοσοφία, Διεθνές Δίκαιο, Διεθνείς Σχέσεις, Πολιτολογία, Πρώτος Τόμος (Enzyklopädische und Allgemeinbildung, populärwissenschaftlich: Philosophie, Völkerrecht, Internationale Beziehungen, Politik, Erster Band), ISBN: 978-620-0-61337-0, Saarbrücken 2020, 289 Seiten, S.216

 

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