Freiheit im Lichte der Philosophie,der Ideengeschichte, der Politikwissenschaft, der Soziologie und des Rechts

Freiheit im Lichte der Philosophie, der Ideengeschichte, der Politikwissenschaft, der Soziologie und des Rechts

Die Komplexität des Themas erfordert eine systematische Herangehensweise, da sonst die Gefahr besteht, in Dutzende von Themen abzudriften. Ich beabsichtige nicht, im Folgenden alle zahlreichen Meinungen aufzuführen, die in der Vergangenheit zum Thema Freiheit geäußert wurden, sondern nur die wichtigsten Richtungen in Theorie und Praxis.
Im Lichte der Philosophie
Freiheit bedeutet im Allgemeinen vor allem das Verhältnis des Menschen zur objektiven Notwendigkeit (Gesetzmäßigkeit) in Natur und Gesellschaft und insbesondere den Grad und die Qualität des Wissens darüber und seiner Anwendung. Um dieses Ziel zu erreichen, sind vor allem wirtschaftliche, politische, rechtliche und ideologische Voraussetzungen erforderlich. Nach den vorherrschenden philosophischen und politischen Wissenschaften in Europa wird die folgende Unterscheidung getroffen: α) Negative Freiheit, das heißt Freiheit von etwas: die Abwesenheit von Zwang und Unterdrückung von außen, vor allem durch Staat, Gesellschaft und andere Individuen, und Handlungsfreiheit, nach I. Kant “politische Selbstbestimmung”, nach Hegel ohne Unterdrückung, aber durchaus “Einsicht in die Notwendigkeit”). b) Positive Freiheit, die Freiheit für etwas bedeutet: Durch die von der Gesellschaft und vom Staat zu schaffenden Bedingungen kann der Bürger die grundlegenden Bestrebungen seines Lebens verwirklichen: Willensfreiheit oder Autonomie. Es kommt jedoch auf die Qualität der Bedingungen an, z. B. ob sie ausreichen, damit der Bürger seine Fähigkeiten entwickeln kann.
Im Rahmen der Geschichte der Philosophie und der Ideengeschichte werden wir nur die wichtigsten Ansichten über die Freiheit erwähnen. Aristoteles (Αριστοτέλης) unterschied zwischen freiwilligem und unfreiwilligem menschlichem Verhalten: Unfreiwillig ist, was unter Druck oder aus Unwissenheit getan wird. Freiwillig ist das, dessen Grundprinzip auf den handelnden Menschen gerichtet ist, der sich der Umstände seines Handelns voll bewusst ist (Ηθικά Νικομάχεια, III, 3). Hier wird ein Zusammenhang zwischen der freien Wahl aufgrund des eigenen Willens und dem entsprechenden Bewusstsein konstatiert. Auf diese Weise wurde zum ersten Mal die Theorie der Willensfreiheit aufgestellt. Während Platon (Πλάτων), ein Gegner der Demokratie, ein Übermaß an Freiheit ablehnt (“Η άγαν ελευθερία έοικε εις άγαν δουλείαν μεταβάλλειν”: “Das Übermaß an Freiheit ist zu einem Übermaß an Sklaverei geworden”, Πολιτεία, 564A), weist der Redner Isokrates (Ισοκράτης) in seiner Rede vor dem Obersten Gerichtshof (Αρειος Πάγος) auf einige Schwächen der Demokratie in Verbindung mit der Freiheit hin: “Denn diejenigen, die damals die Stadt regierten (d.h. zur Zeit von Solon (Σόλων) und Kleisthenes, Κλεισθένης), haben keine Verfassung geschaffen, die nur dem Namen nach als die liberalste und sanfteste von allen gilt, während sie in der Praxis denen, die sie leben, anders erscheint; auch keine Verfassung, die die Bürger so erzieht, dass sie Anarchie für Demokratie halten, Freiheit von der Gesetzlosigkeit, Gleichheit von der Anmaßung und Glückseligkeit von der Macht eines jeden, zu tun, was er will, sondern eine Verfassung, die, indem sie ihren Abscheu vor denjenigen zeigt, die diese Dinge tun, und sie bestraft, alle Bürger besser und intelligenter macht.” Im Original Altgriechisch: «Οἱ γὰρ κατ’ ἐκεῖνον τὸν χρόνον τὴν πόλιν διοικοῦντες κατεστήσαντο πολιτείαν οὐκ ὀνόματι μὲν τῷ κοινοτάτῳ καὶ πραοτάτῳ προσαγορευομένην, ἐπὶ δὲ τῶν πράξεων οὐ τοιαύτην τοῖς ἐντυγχάνουσι φαινομένην, οὐδ’ ἣ τοῦτον τὸν τρόπον ἐπαίδευε τοὺς πολίτας ὥσθ’ ἡγεῖσθαι τὴν μὲν ἀκολασίαν δημοκρατίαν, τὴν δὲ παρανομίαν ἐλευθερίαν, τὴν δὲ παρρησίαν ἰσονομίαν, τὴν δ’ ἐξουσίαν τοῦ ταῦτα ποιεῖν εὐδαιμονίαν, ἀλλὰ μισοῦσα καὶ κολάζουσα τοὺς τοιούτους βελτίους καὶ σωφρονεστέρους ἅπαντας τοὺς πολίτας ἐποίησεν». Dieser interessante Gesichtspunkt zeichnet sich immer noch von einer hohen Aktualität aus.
Der niederländisch-jüdische Philosoph Baruch Spinoza, der als erster eine dialektische Beziehung zwischen Freiheit und objektiver Notwendigkeit herstellte, leistete einen bedeutenden Beitrag zur Bildung des europäischen Freiheitsbegriffs: “Ich nenne also ein Ding frei, wenn es nur durch die Notwendigkeit seiner Natur existiert und funktioniert”(Briefwechsel 228 ff.). Auf diese Weise wird die Freiheit als Bewusstsein der Notwendigkeit interpretiert. Der große deutsche Philosoph Hegel hat fast die gleiche Ansicht vertreten. Freiheit ist ihrem Wesen nach konkret, selbstbestimmt für die Ewigkeit und damit zugleich notwendig (Hegel, Werke, 8, S.110ff.).
Aus der Geschichte der Philosophie ist bekannt, dass Karl Marx viele Ideen Hegels übernommen, mit dem Materialismus kombiniert und den Dialektischen Materialismus begründet hat, der auch auf die marxistische Auffassung von Freiheit angewandt wurde. Die Hauptbestandteile dieser Auffassung sind auch a) die dialektische Beziehung zwischen Notwendigkeit und Freiheit, b) die Freiheit als Bewusstsein der objektiven Notwendigkeit, c) die Anwendung dieser Notwendigkeit auf das soziale Handeln, d) die Freiheit ist ein konkreter historischer Begriff und e) die Freiheit ist nie und nirgends absolut. Die Anwendung jedoch dieser beeindruckenden  Gedanken in der Realität des kommunistischen Totalitarismus war völlig ausgeschlossen.
Im Lichte der praktischen Philosophie und der politischen Wissenschaft ist die Freiheit ein grundlegendes Kriterium für die Organisation der Gesellschaft und insbesondere ihrer politischen Institutionen, die unter anderem die Aufgabe haben, die Freiheit der Bürger gegenüber anderen Bürgern sowie gegenüber der staatlichen Macht zu schützen. Überdies muss eine liberale (bürgerliche) Gesellschaftsordnung im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung der Bürger beitragen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist ein demokratisches System, was im Allgemeinen das Recht auf politische Beteiligung der Bürger am politischen Prozess bedeutet.
Im Lichte der Soziologie wird die liberte civile von der liberte naturell unterschieden. Beide Begriffe wurden ursprünglich von dem großen französischen Aufklärer J.J. Rousseau formuliert. Die Liberte civile bedeutet, dass sich der Bürger des Umfangs der bestehenden Möglichkeiten seines Handelns auf der Grundlage der Achtung der gesellschaftlichen Regeln und des Gesetzes bewusst ist. Das heißt, der bewusste Bürger ist sich der Regeln und Gesetze bewusst und respektiert sie freiwillig, denn nur so kann eine Gemeinschaft von Menschen existieren und funktionieren. Auf diese Weise entsteht eine stabile Beziehung zwischen allen Bürgern. Die Liberte naturell (natürliche Freiheit) bezieht sich auf den Rahmen der Möglichkeiten jenseits der gegenseitigen Verpflichtungen, gemeinsame Werte, Regeln und Wege der Bedürfnisbefriedigung zu respektieren. Die natürliche Freiheit besteht also in der Fähigkeit des Menschen, seine legitimen Wünsche im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verwirklichen.
Die berühmte “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte” der Vereinten Nationen (1948) behandelt das inzwischen festgeschriebene Recht ohne Einschränkung: “Jeder Mensch hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Der “Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte” (1966) ist jedoch konkreter und enthält in den Artikeln 19 und 20 auch rechtliche Einschränkungen. Erster Absatz des Artikels 18 : ” 1. Jeder Mensch hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit…”. In den folgenden Absätzen gibt es jedoch Einschränkungen: “1. Jeder hat das Recht, seine Meinung endgültig zu äußern. … 3. “Die Ausübung dieses Rechts ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher begrenzt sein. Beschränkungen müssen jedoch gesetzlich vorgeschrieben und absolut notwendig sein (a) für die Rechte und den guten Ruf anderer und (b) zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit oder der Moral. Wir empfehlen den Anarchisten, dies sehr sorgfältig zu lesen. Ähnlich sind auch die Artikel 19 und 20 formuliert. Aber es gibt auch einen äußerst interessanten Aspekt der Freiheit, wenn wir ihr Verhältnis zur Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft und des Bürgers gegenüber dem Staat betrachten, während Freiheit in Verbindung mit Individualismus (nicht Individualität), Egoismus und Eigennutz für eine Gesellschaft und für einen Staat zweifellos destruktiv ist. Genau das ist seit 200 Jahren auf dem Balkan und in Lateinamerika der Fall.
Literatur-Quellen
-Πλάτων, Πολιτεία, Αθήνα 2004
-Platon, Der Staat, Stuttgart 2004
-Αριστοτέλης, Ηθικά Νικομάχεια, Αθήνα 2011, σ. 43-61 (Γ Βιβλίο)
-Aristoteles, Nikomachische Ethik, Köln 2009, S. 55-87 (Drittes Buch)
-Ισοκράτης, Απαντα, Αθήναι 1992
-I.Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Frankfurt 1986 (Erste Ausgabe, Riga 1786)
-J.S. Mill, Über die Freiheit (Orig. On Liberty), Stuttgart 2013
-C. Taylor, Negative Freiheit, Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus, Frankfurt /M. 1999
-E. Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, München 1995
-G. Keil, Willensfreiheit und Determinismus, Stuttgart 2009
-J. Schapp: „Freiheit, Moral und Recht“, Tübingen 2017
-C.Bay, The Structure of Freedom, Stanford1965
-Ilustrierte Geschichte der westlichen Philosophie (The Oxford illustrated History of Western Philosophy, edit. by Anthony Kenny et Oxford University Press, 1994 ),  Köln 1995, S. 133 (Descartes), S.211, 359 (Fichte), S. 219ff., 360 f. (Hegel), S. 198-200 (Kant), S. 169 f. (Leibniz), S. 163 f. (Spinoza), S. 337 f. (Hobbes), S. 344 f. (Locke), S. 364 (J.St. Mill),S. 340 (Milton), S. 347 (Montesquieu), S. 352 (Paine), S. 349 f. (Rousseau)
-Philosophisches Wörterbuch, hrsg. von Georg Klaus / Manfred Buhr, Band 1, Leipzig 1969, S.374-377

-Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hrsg. von J. Mittelstraß, Band 1., Stuttgart 2004, S.675- 682

-Lexikon zur Soziologie (128 Autoren), hrsg. von Werner Fuchs – Heinritz et alt., Opladen 1995, S. 213

-Kleines Politik-Lexikon, hrsg. von C. Lenz / N. Ruchlak,  München / Wien 2001, S.67/68.

-Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum, hrsg, vonFritz Jürss, Akademie der Wissenschaften, Berlin 1982, S. 167,S.182, S.328, S.385, S.588. -Kulturgeschichte der Antike, Griechenland, hrsg. von R. Müller, Akademie der Wissenschaften, Berlin 1976, S.21, S.202, S.224, S. 249, S.252.

-Kulturgeschichte der Antike, Griechenland, hrsg. von R. Müller, Akademie der Wissenschaften, Berlin 1976, S.21, S.202, S.224, S. 249, S.252.

veröffentlicht von 2012 bis 2018 oft in der griechischen Zeitung Kathimerini (Καθημερινή)  in Auseinandersetzung mit dem griechischen Theologen und Philosophen Christos Giannaras

aus meinem Buch: Παναγιώτης Δημητρίου Τερζόπουλος (Panos Terz), Εγκυκλοπαιδική και Κοινωνική Μόρφωση, Εκλαϊκευμένα: Φιλοσοφία, Διεθνές Δίκαιο, Διεθνείς Σχέσεις, Πολιτολογία, Πρώτος Τόμος (Enzyklopädische und Allgemeinbildung, populärwissenschaftlich: Philosophie, Völkerrecht, Internationale Beziehungen, Politik, Erster Band) ), ISBN: 978-620-0-61337-0, Saarbrücken 2020, 289 Seiten, S.83ff.