Fünf vor acht / Russland: Putins politische und moralische Zumutung, Eine Kolumne von Matthias Naß
„Zwar gibt es im Völkerrecht nicht den Tatbestand der Nötigung. Aber es gilt das Prinzip des allgemeinen Gewaltverbots, verankert in Artikel zwei, Abschnitt vier der UN-Charta. Unter dieses Gewaltverbot fällt nicht nur die Anwendung, sondern schon die Androhung von Gewalt. Otto Luchterhandt, emeritierter Professor für Völkerrecht an der Universität Hamburg, kommt in einer noch unveröffentlichten Analyse zu dem Schluss: “Die Androhung der Anwendung militärischer Gewalt, das heißt die Einkreisung der Ukraine durch die Streitkräfte Russlands, verletzt das Völkerrecht.Wenn Russland also durch seine Androhung von Gewalt das Völkerrecht gebrochen hat, dann sollten Europäer und Amerikaner die vorbereiteten Sanktionen nicht einfach in der Schublade verschwinden lassen“…. Zeit (16.2.22)
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Meine Antwort
Es sei mir gestattet, eben aus Sicht des Völkerrechts zwei Bemerkungen zu machen.
1. Sie schreiben: „Zwar gibt es im Völkerrecht nicht den Tatbestand der Nötigung“. Im Artikel 51 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge kann man im Original englischen Text lesen:“The expression of a State’s consent to be bound by a treaty which has been procured by the
coercion of its representative through acts or threats directed against him shall be without any legal effect“ („Wurde die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, durch Zwang gegen seinen Vertreter mittels gegen diesen gerichteter Handlungen oder Drohungen herbeigeführt, so hat sie keine Rechtswirkung“. Im der Allgemeinen wird das Wort „coercion“ nicht nur als Zwang, sondern auch als Nötigung interpretiert. Bei dieser Gelegenheit sei darauf verwiesen, dass das Deutsche keine UNO-Sprache ist und infolgedessen nicht als Interpretationsgrundlage dienen kann.
2. Zum Gewaltverbot
Artikel 2, Abs.4 der UNO-Charta: „All Members shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any state, or in any other manner inconsistent with the Purposes of the United Nations“(„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“). a) Es wird zwischen der Anndrohung von Gewalt und der Anwendung von Gewalt unterschieden. Hieraus folgt, dass beide Begriffe nicht gleichwertig sind, obwohl ihre Verletzung völkerrechtswidrig ist. b) Eine Bedrohung liegt vor, wenn sie direkt (z.B. mittels eines Ultimatums) oder indirekt durch ein entsprechendes Verhalten erfolgt. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn ein Staat häufig klarstellt, nicht die ABSICHT hegt, gegenüber einem anderen Staat Gewalt anzuwenden.
Diese Charta –Bestimmung ist ferner in engem Zusammenhang mit der „Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen“ von 1970 (Res.2625 (XXV) zu sehen: Jeder Staat hat die Pflicht, in seinen internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen. Eine solche Androhung oder Anwendung von Gewalt stellt eine Verletzung des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen dar und darf niemals als Mittel zur Regelung internationaler Fragen angewandt werden.
Ein Angriffskrieg stellt ein Verbrechen gegen den Frieden dar, für das die Verantwortlichkeit nach dem Völkerrecht
besteht. “Hier wird hinsichtlich der Folgen zwischen den oben genannten Begriffen insofern unterschieden, als nur bei „einem Angriffskrieg“, also bei der Anwendung von Gewalt, die völkerrechtliche Verantwortlichkeit in Frage kommt. Gerade dies war und ist der Grund, dass die westlichen Staaten nicht sozusagen im Voraus gegenüber Russland Sanktionen verhängen, wie es von der ukrainischen Regierung oft gefordert worden ist.
Schlussfolgerung: Die Auffassung, dass die Sanktionen gegen Russland bereits jetzt völkerrechtlich gedeckt wären, ist nicht richtig.
Siehe ausführlicher:
-Panos Terz, Wissenschaft vom Völkerrecht: Theorie des Völkerrechts, Philosophie des Völkerrechts, Soziologie des Völkerrechts, Methodologie des Völkerrechts, ISBN: 978-620-0-67264-3, Saarbrücken 2021.
-Panos Terz, The science of international law, ISBN: 978-620-3-97855-1, Saarbrücken 2021.
-Panos Terz, Droit des contrats internationaux, Problèmes particuliers, •ISBN: 978-620-4-10711-0, Saarbrücken 2021.
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Die Ukraine-Frage : Zwei Hauptprobleme
1.Problemfindung: Im Wesentlichen gibt es zwei Haptprobleme: a) Die mögliche NATO-Mitgliedschaft in Verbindung mit Sicherheitsfragen und b) die Rolle der russisch sprechenden Minderheit.
2.Problemlösung
Zu a) Die Ukraine liegt geographisch zwischen Russland und der NATO. Es liegen alle Voraussetzungen vor, dass die Ukraine natürlich auf der Basis internationaler Garantien einen Neutralitätsstatus erhält. Natürlich darf der Neutralitätsstatus das von der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung gewünschte politische System nicht im Geringsten berühren. Dies habe ich hier bereits am 17.10.21 geäußert.
Zu b) Parallel dazu gewährt Ukraine der russisch sprechenden Minderheit im Osten des Landes eine weitestgehende Autonomie. Als Vorbild könnte im Prinzip der Autonomie-Status von Katalonien dienen. Zu diesem Zweck sollte die Verfassung revidiert werden.
Die bessere und endgültige Lösung dieses Problems wäre allerdings auf der Grundlage einer neuen Verfassung die Umwandlung des Ukraine in eine Föderation (Bundesstaat): Bildung einer zentralen Regierung, bestehend analog zu dem Bevölkerungsanteil aus den zwei Ethnien, zuständig in erster Linie für die Außenpolitik und die Verteidigung. Die Regionalregierungen wären für alle anderen Bereiche zuständig. In der Ostukraine würde Ukrainisch die erste und Russisch die zweite Sprache sein.
Alles andere hätte einen vorläufigen Charakter, und die Probleme würden immer wieder auftauchen. Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Focus, Stern, Neue Zürcher Zeitung, Süddeutsche Zeitung (14.2.22)
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Lösung des Ukraine-Problems
1. Russland hat das lebenswichtige Interesse, dass die NATO sich nicht in Richtung der Ukraine ausdehnt. Zur Realisierung dieses besonderen Interesses benötigt Russland eine Garantie-Erklärung seitens der NATO.
2. Die NATO umfasst ein Gebiet, zu dem die Ukraine nicht gehört. Die NATO hat ebenso ein Lebensinteresse, dass ihre Mitgliedstaaten nicht von Russland angegriffen werden. Wird dieses Interesse durch Russland gefährdet?
3. Die Ukraine liegt geographisch zwischen Russland und der NATO. Es liegen alle Voraussetzungen vor, dass die Ukraine natürlich auf der Basis internationaler Garantien einen Neutralitätsstatus erhält. Natürlich darf der Neutralitätsstatus das von der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung gewünschte politische System nicht im Geringsten berühren.
4. Parallel dazu gewährt Ukraine der russisch sprechenden Minderheit im Osten des Landes eine weitestgehende Autonomie. Die bessere und endgültige Lösung dieses Problems wäre auf der Grundlage einer neuen Verfassung die Umwandlung des Ukraine in eine Föderation (Bundesstaat): Bildung einer zentralen Regierung, bestehend analog zu dem Bevölkerungsanteil aus den zwei Ethnien, zuständig in erster Linie für die Außenpolitik und die Verteidigung. Die Regionalregierungen wären für alle anderen Bereiche zuständig. In der Ostukraine würde Ukrainisch die erste und Russisch die zweite Sprache sein.
Sollte es zu keiner endgültigen Lösung dieser Probleme kommen, und der Bürgerkrieg bzw. der Sezessionskrieg sowie indirekt die militärische russische Einmischung fortgesetzt werden, dann ist nicht ausgeschlossen, dass Russland offen in den Osten der Ukraine einmarschieren, dieses Gebiet besetzen wird, was militärisch sehr leicht wäre. Es ist kaum damit zu rechnen, dass die NATO oder die USA der Ukraine militärische Hilfe leisten werden. Russland wird dann als Bedingung für das Räumen des Besetzten Gebietes die weitestgehende Autonomie für die russische Ethnie sowie die militärische Neutralität der gesamten Ukraine verlangen. All dies wird durch einen internationalen Vertrag mit den üblichen Garantien zustande kommen. Alles spricht dafür, dass die NATO, wenn auch zähneknirschend, sich an diesem Prozess beteiligen wird.
Klarstellung: Aus Sicht des Völkerrechts sehen die Probleme anders aus. Allerdings das Völkerrecht sollte auch für die russische Ethnie gelten. Zeit (17.12.21), NZZ (25.1.22)
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Der ukrainische Präsident gibt sich leider großen Illusionen hin. Es wird keine Mitgliedschaft in der EU oder in der NATO geben. Und im Falle eines russischen Einmarsches und möglicherweise der Besetzung der Ost-Ukraine, wo bekanntlich mehrheitlich Russen leben, wird die NATO der Ukraine militärisch nicht beistehen, denn man wird keinen Dritten Weltkrieg wegen der Ukraine riskieren. Das ist die bittere Wahrheit.
Ich bin zwar kein Freund Putins, aber als Akademiker nicht so bescheuert, daran zu glauben, dass Russland dabei sei, Europa mit Krieg zu überziehen. Was der Journalist schreibt ist m. E. der Gipfel der Verantwortungslosigkeit.
Zeit, Stern, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Neue Zürcher Zeitung (16.12.21), Wiener Zeitung (3.2.22)
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Ukraine-Krise: Deutschland und Frankreich wollen im Ukraine-Konflikt vermitteln, Olaf Scholz und Emmanuel Macron möchten das Normandie-Format neu beleben. Damit soll ein Angriff Russlands auf die Ukraine verhindert werden.
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Endlich. Das ist kluge DIPLOMATIE. Die Vermittlerfunktion ist ein Bestandteil des grundlegenden völkerrechtlichen Prinzips der friedlichen Streitbeilegung (Artikel 33 der UNO-Charta). Gerade das gehört zum VÖLKERRECHT. Davon kann die Außenministerin was lernen, denn im Voraus mit Sanktionen drohen, ist schlicht und einfach undiplomatisch, unklug und plump. Schlimmer geht es nicht. Zeit (16.12.21)
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Aus Sicht des Völkerrechts wäre der Status der (militärischen) Neutralität der Ukraine die beste Lösung. Es gilt also im Falle der Ukraine, zwei wesentliche Probleme zu lösen: Staatsfrage (weitestgehende Autonomie an die russische Ethnie oder Bildung eines Bundesstaates) und Neutralität.
Im Falle einer natürlich völkerrechtswidrigen Intervention Russlands in die Ukraine, wird die NATO keinen Finger krumm machen. In diesem Falle würde das Schicksal der ukrainischen Staatlichkeit aufs Spiel gesetzt. Zeit, Stern(7.12.21)