1. Ethnonogenese der Russen
Um eine Nation besser verstehen zu können, bedarf es unbedingt wichtiger Kenntnisse hinsichtlich ihrer Ethnogenese. Konkret geht es hier um die russische Nation nach ihrem eigenen Selbstverständnis und nicht um die zahlreichen Ethnien (übe 100), die in der Russischen Föderation leben.
Die ersten Einwohner im Gebiet zwischen der Ostsee bis zum Schwarzen Meer waren baltische Stämme. Speziell im Gebiet der heutigen Ukraine ab dem Fluss Dnestr und im heutigen Süd-Russland lebten bereits seit dem 6. Jh. v.Chr. iranische Skythen und zwar die friedlichen Bauern sowie die „Königlichen Skythen“ als Reiternomaden. Ihnen folgten die Reiternomaden Sauromaten („Echsenäugige“). Sie vermochten keinesfalls, von den kulturell überlegenen Griechen auf der Krim Errungenschaften der griechischen Hochkultur zu übernehmen. Beide galten aus Sicht der alten Griechen, welche als erstes historisches Volk die Krim bewohnten, als unzivilisiert.
Vom Karpaten- und Weichsel Raum aus kommend, besiedelten etwa im 5. Jh. n.Chr. in erster Linie die halbzivilisierten ostslawischen Stämme der Ilmenslawen, Kriwitschen, Polotschanen, Slowenen, Dregowitschen, Wjatitschen, Severjanen, Semeljanen, Radimitschen, Derewjanen, Buschanen, Wolynier, Tiwerzen und Wessen das Gebiet des heutigen Russland. Hinzu kamen baltische (Goljad) und finno-ugrische (Merja, Mari, Muroma, Meschtscheren, Liewissen, Tschuden etc.) Stämme, die sich mit den Nachkommen der Skythen vermischt haben. Auch diese Mischung galt in den Augen der byzantinischen Griechen als halb zivilisiert.
Im 9. Jh. erfolgte das Eintreffen der halb zivilisierten skandinavischen Wikinger mit dem späteren Namen Waräger (Bezeichnung für Wikinger in dieser Region mit der Bedeutung „Schwurleute“, die Wikinger in Nord-Frankreich hießen hingegen Normannen, also Nordmänner) zuerst in Nowgorod unter Rjurik und danach in Kiew unter Igor. Sie wurden als Russ genannt, vorüber es unterschiedliche Ansichten gibt. Die folgende Erklärung ist einleuchtender: Das Wort Russ ist finnischen Ursprungs und bedeutet die Ruderer (Ruotsi). Als sehr dynamische Ethnie übernahmen sie mit Zustimmung der einheimischen Ostslawen die Führung, gründeten den ersten ostslawischen Staat überhaupt, und es begannen die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen mit den in den südrussischen Steppen eingefallenen Turk-Völkern der Petschenegen, der Polowzer und der Kipschaken (Kumanen), die ursprünglich aus dem Ural- Altai-Gebiet stammten (siehe die Radziwill-Chronik, Rauchspur der Tauben, Leipzig 1986. In der Chronik werden diese Kämpfe ausführlich beschrieben).
Es kann konstatiert werden, dass die Ostslawen nicht fähig waren, einen eigenen Staat zu bilden. An der Festigung des neuen Staatsgebildes haben sich insgesamt Ost-Slawen, Balten, Finno- Ugrier, Waräger, Khasaren und Wolgabulgaren beteiligt. Diese Ethnien haben sich sukzessiv miteinander verschmolzen und hierdurch entstanden die heutigen Russen. Die Russ wurden von den griechischen Byzantinern als Waräger, Skythen, Sarmaten, Taurosykythen etc. bezeicnet. Im 11. Jh. schätze der führende Historiker Ioannis Skylitzis (Ιωάννης Σκυλίτζης) diese “skythische Ethnie” wie folgt ein:“έθνος δε οι Ρως σκυθικόν περί τον αρκτώον Ταύρον κατωκημένον, ανήμερον τε και άγριον’’(“eine skythische Ethnie, die ohne Kultur und wild in der kalten Tauris lebt”).
Das einigende Band zwischen ihnen lieferte das hochzivilisierte Oströmische (Byzantinische) Reich: In erster Linie die Kultur, die Religion (Christianisierung) mit ihrer Mystik und Spiritualität und das Recht. Hinzu kam noch ebenfalls von den Griechen, speziell von den hochgebildeten Brüdern Methodios und Kyrillos aus Thessaloniki das Alphabet, eine an das Slawische mit den vielen Zischlauten angepasste Variante des griechischen Alphabets. Die Russen haben ferner en mass griechische Vornamen übernommen. Die Großfürsten haben damit angefangen: Jefstafi (Eustathios); Eupraxia, Katerina, Monomach, Jefrosinia (Efrosini), Andrej, Alexander, Jewfimia (Euthymia), Anastassija etc. Auch heute trägt manch ein wichtiger russischer Politiker einen griechischen Namen (z.B. DMITRI NOKOLAJEWITSCH Medwedew). Die ersten Lehrer, Juristen, Bischöfe, Theologen und Wissenschaftler waren byzantinische Griechen, die schon seit der Zeit der Skythen mit einem starken Überlegenheitsgefühl auf die Bevölkerung in diesem Gebiet herabschauten. Was speziell die Waräger betrifft, sprach man in Konstantinopel z.B. von den „Beilschwingenden Warägern“. Es ist nicht Aufgabe des vorliegenden Beitrages, ausführlich auf die weitere Zivilisierung der Russen in den späteren Jahrhunderten einzugehen. Es kann lediglich angedeutet werden, dass die weitere Zivilisierung der Russen durch Europa, vor allem durch Frankreich und Deutschland vorangetrieben wurde.
Schlussfolgerungen
1. An der Ethnogenese der Russen haben sich zahlreiche Ethnien recht unterschiedlicher Herkunft beteiligt.
2. Das gemeinsame Merkmal dieser Ethnien bestand darin, dass sie unzivilisiert oder halb zivilisiert waren.
3. Die byzantinischen Griechen haben den halb zivilisierten Russen Zivilisation und Kultur beigebracht.
Natürlich hatte später Russland später, begonnen mit der Öffnung des Landes gegenüber dem haushoch überlegenen Weste nach dem Zaren Peter, dem Großen und der ehemaligen deutschen Prinzessin und späteren Zarin Katerina der Großen die Möglichkeit, sich zu entwickeln, zu zivilisieren und ab dem 19. Jh. Schriftsteller und Dichter (Fjodor Dostojewski, Alexei Tolstoi, Alexander Puschkin, Alexander Solschenizyn) und Komponisten (Pjotr Tschaikowski, Michail Glinka, Alexander Borodin, Modest Mussorgski, Sergei Rachmaninow, Nikolai Rimski-Korsakow, Dmitri Schostakowitsch, Igor Strawinsky) von internationalem Rang hervorzubringen. Die Kultur kann daher ohne Zweifel als europäisch eingeschätzt werden.
Dieser Beitrag ist weder diskriminierend noch diffamierend, noch rassistisch, sondern nach der Widerspiegelungstheorie des altgriechischen materialistischen Philosophen Demokrit eine wertende Wiedergabe der objektiven historischen Realität. Der Beitrag könnte dazu dienen, das nicht gerade hoch entwickelte Grundverhaltensmuster der russischen „Elite“ seit der Zarenzeit besser zu verstehen.
2. Russen und das Erbe der mongolotatarischen „Goldenen Horde“
Der Begriff „Goldene Horde“ ist inzwischen in der historischen Wissenschaft ein terminus scientificus (Fachbegriff), der von den unterworfenen Russen geprägt wurde, um den großen Reichtum der mongolotatarischen Eroberer zu zeigen. Das Wort “Horde” hatte nicht die heutige negative Bedeutung, denn er stand vielmehr für eine größere Militäreinheit (mongolisch Ordon). Die Mongolotataren benutzten ferner das Adjektiv „golden“ in einem ähnlichen Zusammenhang (z.B.„Goldene Jurte“). Es gab ferner die „Blaue Horde“ und die „Weisse Horde“.
Es ist eine historische Wahrheit, dass die grausamen Mongolotataren die russische Mentalität negativ beeinflusst haben: a) der Zar als „Väterchen“ (Übersetzung des asiatischen Wortes Attila). Der spätere Zar hatte die gleichen Befugnisse wie der Khan der Mongolotataren.
b) Der Khan ernannte die Großfürsten, die genau und ständig kontrolliert wurden, ob sie die Steuern richtig eingetrieben haben. Wenn nicht, dann wurden sie hart bestraft. Sie wiederum wandten ähnlich brutale Methoden gegenüber ihren russischen Untertanen an. Hierdurch ist eine ungebrochene Tradition der Gewalt und der Grausamkeit entstanden.
c) Die Gewalt und die Grausamkeit sind somit das wichtigste Mittel der Machterhaltung und Machtausübung gewesen (Khan, Zar, Iwan der Schreckliche, Lenin, Stalin, Putin). Vor der Herrschaft der Mongolotataren war es nicht so.
d) Ein weiteres Merkmal der Herrschaftsausübung war das Misstrauen (Khan, Zar, Iwan der Schreckliche, Stalin, Putin.).
e) Umfangreiche Bespitzelung im ganzen Herrschaftsbereich (Khan, Zar, Iwan der Schreckliche, Stalin, Putin).
Russland hatte das große historische Pech, nicht wesentliche Elemente der griechisch-römischen Kultur, der Grundlage des Westens, sondern die christlich geprägte mittelalterliche Kultur des byzantinischen Reiches (korrekter des Oströmischen Reiches, Imperium Romanum Orientalis) und vor allem den orthodoxen Glauben übernommen zu haben. Hierdurch ist ein Gesellschafts- und Menschenbild entstanden, das starke mittelalterliche Züge aufweist, wobei die Mystik und die Spiritualität als essenzielles Element der Orthodoxie eine große negative Rolle spielten und weiterhin spielen, obwohl mehrere Jahrzehnte ein atheistisches Regime herrschte. Es ist also kein Zufall, dass Putins (un)heilige Dreifaltigkeit wie folgt lautet: Imperium, Patriotismus, Orthodoxie. Das sind nicht gerade die richtigen Ideale eines Staates im 21. Jh.
Es entspricht ebenfalls der historischen Wahrheit, dass in Russland die Staatsgewalt spätestens seit der Zeit der „Goldenen Horde“in Form der Autokratie oder des Totalitarismus sich auf die Angst, die Einschüchterung, die Bespitzelung und die Gewalt stützt.
Dies ist die logische Konsequenz der Tatsache, dass Russland die italienische Renaissance des altgriechischen Geistes, der Hauptgrundlage der westlichen Zivilisation, sowie insbesondere die europäische Aufklärung verpasst hat. Dieses Riesenland hat in seiner Geschichte damit eine ganze Etappe der europäischen Entwicklung, namentlich die bürgerliche, übersprungen. Das Jahrhunderte vorherrschende politische System ist daher nicht als europäisch, sondern eher als mittelasiatisch einzuschätzen. Lenin ist weitergegangen, als er meinte, dass Russland abseits der „Heerstrasse der Zivilisation“ liegt. Es kann daher geschlussfolgert werden, dass Russland sich hinichtlich des politischen Herrschaftssystems immer noch auf dem Weg nach Europa befindet.
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-Ethnonogenese der Russen, Russen und das Erbe der mongolotatarischen “Goldenen Horde“, in : Panos Terz, Blog.
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